Samstag, 4. Juli 2020

Ho, Ho, Ho Chi Minh

Es gibt nicht viele Bücher von Philip K. Dick auf Vietnamesisch, aber es gibt jetzt immerhin die zweite Übersetzung eines Romans. In diesem Jahr ist Người Máy Có Mơ Về Cừu Điện Không erschienen, im Original Do Androids Dream of Electric Sheep?. Natürlich.
"Do Androids Dream of Electric Sheep?" in Vietnamesisch
Người Máy Có Mơ Về Cừu Điện Không, die vietnamesische Ausgabe von
Philip K. Dicks Roman Do Androids Dream of Electric Sheep?
Aber DADoES ist ein guter Roman und natürlich auch populär, durch den Film, natürlich. Um so ungewöhnlicher ist die Wahl für die erste vietnamesische Übersetzung von 2002, Dicks früher Roman Dr. Futurity. Ersterscheinungsdatum 1960 bei (natürlich) Ace Books, in Vietnam bei Nha Nam in Hanoi unter dem Titel Tié̂n sĩ tương lai. Dieser Roman ist nicht unbedingt der stärkste Roman von Dick, es gibt auch nur sechs englische Ausgaben und auf deutsch ist Schachfigur im Zeitspiel ein Single, der nur einmal, bei Moewig (1983), erschienen ist (hallo, Fischer Verlag, könnte man auch mal wieder herausbringen!). 
2002 also hatte der Verleger in Hanoi die Wahl zwischen u. a. Ubik, The Three Stigmata of Palmer Eldritch und anderen Spitzenwerken – und Dr. Futurity … und wählt dann Dr. Futurity? Ich verstehe natürlich zu wenig von den Entscheidungsprozesse und Randbedingungen beim Verlag Nha Nam in Hanoi, vielleicht spielt auch Politik und Zensur eine Rolle (schliesslich ist die Sozialistische Republik Vietnam kein freies Land, Presse- und Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt), vielleicht ist es aber auch bloss Inkompetenz oder eben das Geld für die Lizenzen. Diese Ausgabe ist nur bei einigen Bibliotheken nachgewiesen, es liess sich nicht einmal ein Bild vom Umschlag finden. Möglicherweise handelt es sich auch um eine Bibliotheksausgabe, die überwiegend für Bibliotheken vorgesehen war. Um so besser, das wir nun in Vietnam eine zweite Ausgabe eines Romans von Dick haben.

Der Krieg

Die erste Assoziation mit Vietnam ist für viele der Krieg und die politische Kontroverse um diesen Krieg. Auch Dick hat sich in den sechziger Jahren dazu geäussert. Bereits Anfang der 60er Jahre organsierten sich verschiedene Gruppen zur Steuerverweigerung als Protest gegen den Krieg. Als der Vietnamkrieg in der Mitte der 60er Jahre in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit kam, schloss sich Dick wie viele andere Prominente, Künstler und Intellektuelle diesem War Tax Protest an.
Dick tat dies wohl 1967 für eine Aktion, über die die New York Times in einem Artikel vom 17. September 1967 berichtet: Writers Protest Vietnam War Tax. Es wird berichtet, dass die Beteiligten ihre Steuer um den Anteil reduzieren wollen, der für den Krieg verwendet wird, 23 Prozent. Im folgenden Jahr erschienen dann in drei Publikationen entsprechende Anzeigen: in der New York Times vom 13.01., dem New York Review of Books vom 15.02. und schliesslich dem (durchaus sammelbaren) politisch linken Magazin Ramparts in der Februar-Ausgabe des Jahres. Dicks Name ist als einer von rund 450 in den Anzeigen zu lesen.
Bei den Science Fiction Autoren gibt es zwei Lager und so führt die Initiative einer Protest-Anzeige im Branchenblatt Galaxy zu einer Gegenanzeige von Kriegsunterstützern, man kann sie Seite an Seite in der Ausgabe vom Juni 1968 finden. Auch hier findet sich Dicks Name bei den Kriegsgegner. Diese Anzeigen illustrieren auch den Artikel Rückkehr zu Problemen der Menschlichkeit in der Science Fiction Times 148 (1980) von Sybille Pukallus (Seite 35), dort ohne Nennung der Quelle. Ein Scan der kompletten Ausgabe der SFT 148 findet sich hier.
Als Folge der Steuerverweigerung wurde 1969 Dicks Auto eingezogen, wie man noch auf der Seite des National War Tax Resistance Coordinating Committee nachlesen kann, wo sich auch weiteres zum Thema findet. Auch danach hat er sich noch länger Sorgen gemacht, zumal seine finanzielle Situation Anfang der 70er recht prekär war.
Dick erwähnt diese Aktivität einige Male in der Exegesis, nach dem Ende Krieges zahlt er wohl seine Steuerschulden. Später findet sich in Dicks FBI-Akte ein Verweis auf die Steuerverweigerung.

Der Glaube unserer Väter

Literarisch berührt Dick das Thema Vietnam in der Kurzgeschichte Glaube unserer Väter [Faith of Our Fathers], geschrieben wohl 1965 und veröffentlicht 1967 in der Anthologie Dangerous Visions. Den Hintergrund der Erzählung bildet ein Alternativweltszenario, in dem Vietnam (vermutlich mit China) den Krieg gewonnen haben und die USA nun (scheinbar?) von den Kommunisten beherrscht wird.
Diese Kurzgeschichte wird viel diskutiert, weil die Einleitung in Dangerous Visions behauptet, Dick hätte sie unter dem Einfluss von LSD geschrieben, was in der Folge Dicks Ruf als „Drogenautor“ begründet oder zumindest dazu beigetragen hat. Später bestreitet Dick das (plausibel, wie ich finde) und sagt auch, dass er nicht die Idee vertritt, der Ostblock sollte den Kalten Krieg gewinnen.
Zum Thema Vietnam gibt es noch eine Aussage von Dick in der Exegesis, er schreibt, dass ein Kritiker Warte auf das letzte Jahr [Now Wait for Last Year] für eine Beschreibung des Vietnamkriegs hält. Er lässt diese Behauptung so stehen, reagiert aber auch nicht wirklich darauf. Man findet dazu auch sonst nichts, es handelt sich also eher um eine Einzelmeinung.

Sammeln

Bestellen kann man die neue vietnamesische Ausgabe (wohl nur) in Vietnam, zahlen mit PayPal, die Zollerklärung hat für mich geklappt, ich konnte mir die Reise zum Zoll also sparen.
Die oben erwähnte Ausgabe des Magazin Ramparts findet man leicht und sehr bezahlbar, aber jenseits der Portomauer.
Tié̂n sĩ tương lai [Dr. Futurity] bei Worldcat ist einer der wenigen (zugänglichen) Nachweise im Netz.
Eine Liste aller Sprachen und der jeweiligen Erstausgaben von Philip K. Dick gibt es hier im Blog.
Und unsere Asienreise von Japan über Korea und nach Vietnam wird sich fortsetzen ...

Preise

"Người Máy Có Mơ Về Cừu Điện Không" [Do Androids Dream of Electric Sheep?] (2020) für 105.000 vietnamesische Dong, etwa 4 Euro zuzüglich Porto von 2060 Euro, abhängig vom Versender

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