Samstag, 26. Dezember 2020

Rückblick 2020

Ein Jahr neigt sich dem Ende zu, ein weiteres Jahr für diesen Blog, eine Jahr ohne grosse Höhepunkte, aber auch solche Jahre muss es beim Sammeln geben. 
Der Blog ist im März fünf Jahre alt geworden und das wurde hier auch ein bisschen gefeiert. Trotzdem (oder deswegen) war 2020 das fruchtloseste Jahr mit nur 25 Blogeinträgen. Aber vielleicht gleicht die Qualität die fehlende Quantität ja aus. Zu meinen persönlichen Glanzpunkten gehört die Betrachtung (und sehr aufwändige Recherche) der gemeinfreien Ausgaben, ein sonst eher unbeachteter Aspekt in der Publikationshistorie von Philip K. Dick. Ich wüsste wirklich gerne, wieviel da verkauft wird. Tatsächlich ist das auch der meistgelesene Eintrag des Jahres!
Ein gutes Thema war auch Otto Basils Roman Wenn das der Führer wüsste, auch wenn ich ursprünglich über Helmut Wenske, den Illustrator des Umschlagbildes, auf das Buch aufmerksam geworden bin, der einen eigenen Blogeintrag verdient hat (und erhalten soll). Ein schöner und ansehnlicher (und beliebter) Eintrag waren kürzlich auch die Steinewerfer, ein famoser Spass.
Zum Blog bleibt hinzuzufügen, dass ich nur halbherzige und letztlich erfolglose Versuche gemacht habe, eine neue Heimat abseits von Blogger zu finden. Dafür hat Google tatsächlich einige als Verbesserungen gemeinte Änderungen in Blogger durchgeführt … möglicherweise geht das Licht hier doch nicht so schnell aus. Ich werde also wohl erst mal bleiben.
Ein wenig besser ausgestattet bin ich nun für meine bescheidenen fotografischen Beiträge. Es bleibt abzuwarten, ob die Qualität der Fotos sich damit verbessern wird … zumindest sollte es einfacher werden.
Für die Sammlung war das grösste Ereignis der Umzug in neue Räumlichkeiten und Schränke, die die empfindlichen Stücke vor den Verheerungen des Lichts schützen sollen. Die Bestandsaufnahme läuft aber noch.
Romane von Philip K. Dick
Neuzugänge 2020 in Auswahl
Und natürlich ist die Sammlung auch im vergangenen Jahr gewachsen. Die neue deutsche Ausgabe von Clans wurde hier vorgestellt. Ausserdem sind 16 englische Romane und Anthologien dazugekommen, dabei einiges von Gollancz, ein bisschen von Vintage, Ace und Penguin, bei letzteren rückt das Ziel der Vollständigkeit in erreichbare Nähe. Und mein Glanzstück gehört auch dazu: Solar Lottery von Ace Books (1955), hier im Blog beschrieben. Und es gab zwei Comics, besonders schön waren The Pipers (hier im Blog). 
Ansonsten gab es für die Sammlung ein halbes Dutzend Beiträge zur Sekundärliteratur, neun Hefte und Magazine und schliesslich fünf internationale Ausgaben, darunter zwei neue Sprachen: Slowenisch und Vietnamesisch.
Ein Weihnachtsgruss
Eule bei Tageslicht
Leider gibt es für das Jahr 2020 keine neuen Sprachen im Katalog (dafür aber viele Beiträge zu Asien im Blog). Erschienen sind eine neue (zweite) galicische und eine weitere katalanische und ukrainische Ausgabe. Die Türkei setzt den Weg zu einer Gesamtausgabe fort, 24 Bände sind bei Alfa bisher erschienen. Das Dutzend italienischen Ausgaben von Fanucci ist nicht ungewöhnlich und Minotauro in Spanien ist mit elf Neuausgaben energisch dabei. Über alle Sprachen sind es mehr als 50 neue Bücher.
Von den fast 50 gemeinfreien Ausgaben des Jahres 2020 abgesehen, gab es nur eine neue englische Ausgabe im Katalog: Radio Free Albemuth, publiziert bei Mariner. In den letzten Jahren sind aber insgesamt kaum neue englische Ausgaben erschienen, die Ausgaben von Mariner und Gollancz sind noch erhältlich, man kann fast jeden Roman von Dick verlagsfrisch erwerben.
Die Highlights des vorigen Jahres liessen sich nicht wiederholen: Es gab kein Philip K. Dick Filmfest in Köln. Und das verschobene, aber dann doch aufgeführte Spiel Shell Game von Anna Kpok im Ringlokschuppen Ruhr in Mühlheim ist mir auch entgangen. Vielleicht wird das aber doch andernorts noch einmal gespielt.

Samstag, 12. Dezember 2020

Zufall

Chance Meeting  
Avram Davidson & Philip K. Dick
Als dritter Teil der kleinen Serie der mehr oder weniger semiprofessionellen Veröffentlichungen folgt nun Chance Meeting (nach The Slave Race und Take Them to the Garden).
Auch diese Veröffentlichung der Avram Davidson Society hat einen bibliophilen Anspruch. Sie hat 16 unpaginierten Seiten, ein ansehnliches Layout und einen netten Font, verzichtet aber auf Illustrationen. Über die Verarbeitung schreibt man stolz:
Stitched in Hahnemühle wrappers, with letterpress label printed by Jerry Kelly from Foundry Centaur type.
Enthalten ist zuerst eine Kritik von Avram Davidson zu The Man in the High Castle, die ursprünglich in The Magazine of Fantasy and Science Fiction vom Juni 1963 veröffentlicht ist. Die Kritik ist nicht nur sehr positiv, sie ist eben von einem Schriftsteller geschrieben und daher relevant und lesenswert – und sie ist geschrieben, bevor Dick den Hugo für den Roman erhalten hat (Davidson hatte den Hugo 1958 für seine Kurzgeschichte Oder alle Meere voll Austern bekommen). Offenbar hat sein Artikel viel Aufmerksamkeit erhalten, vielleicht durch Avrams Bekanntheit (zumindest in der Szene).
Es folgt ein Brief von Davidson an das Science Fiction und Fantasy Magazin Locus, Ausgabe Mai 1982, vermutlich anlässlich Dicks Tod, in dem er seine Kritik noch einmal erläutert. Ein Brief von Grania Davis, die mit Davidson verheiratet und später mit Dick closely involved war, ergänzt Avrams Brief. Sie schreibt über das im Roman vielzitierten Buch der Wandlungen, ein Thema das sie wohl länger mit Dick diskutiert hat.
Abgeschlossen wird Chance Meeting vom namensgebenden Essay vom Herausgeber Henry Wessells. Sehr vorsichtig zieht er den Bogen von Davidsons Kritik über den Hugo Award zu Dicks Karriere als Schriftsteller – ob man dem so zustimmen will oder muss, bleibt dem Leser überlassen.
Titelseite von Chance Meeting
Wessels ist offenbar der Mann hinter der Avram Davidson Society und darf das natürlich so sehen. Ein Blick auf die Webseite der Gesellschaft, die noch den Charme der 90er Jahre verströmt, erweckt den Eindruck, dass er als Antiquar, Buchbinder und Herausgeber, eigentlich ein Bibliophiler ist, der seine Berufung zu seinen Berufen gemacht hat. Und seine Seite mag antiquiert wirken, sie lebt und arbeitet aber. Chance Meeting ist die fünfte Publikation der Society und es gibt eine regelmässig Newsletter (obwohl nur elektronisch, trotzdem mit ISSN), im aufgeführten Vorstand sitzen mit Michael Swanwick und Gregory Benford zwei namhafte Science Fiction Schriftsteller. Man würde sich so etwas auch für manchen anderen Autoren wünschen.
Avram Davidson ist 1923 geboren, also nicht viel älter als Dick. Es ist also kein Zufall, dass seine Kurzgeschichten, zumindest in Deutschland, häufig mit denen von Dick in den selben Anthologien erscheinen. Tatsächlich sind in Deutschland auch nur etwa drei Dutzend Kurzgeschichten von ihm erschienen. Davidson ist 1993 gestorben, die Avram Davidson Society 1998 an seinem 75. Geburtstag gegründet.
Einen Teil des Briefwechsels (oder zumindest ein Essay dazu), der von 1963/64 bis zu Dicks Tod reichte, hat Grania Davis im Ausgabe The New York Review of Science Fiction in der Ausgabe von August 1997 veröffentlicht: Avram and Phil: Memoir of a Literary Friendship.
Leider gibt es fast keine Veröffentlichungen der Art von Chance Meeting im deutschen Sprachraum. Den gleichen Geist des Enthusiasten atmet noch Tommi Brems Appendix Dick und er hat ebenfalls einen ästhetischen, bibliophilen Anspruch – Brem ist Künstler; natürlich ist der Appendix viel umfangreicher und in einem professionellen Verlag herausgekommen. Fanzines und ähnlicher Veröffentlichungen früherer Tage, die sich teilweise intensiv mit Dick beschäftigt haben, fehlt dagegen gänzlich jeglicher bibliophiler Aspekt, Hahnemühle wrappers waren vermutlich eine dekadente Vorstellung – es kann nur um die Idee gehen!
Die beste Bibliographie der deutschen Ausgaben von Davidson findet sich wohl bei ISFDB – man suche dort nach „German“. Wer lieber auf Deutsch über Davidson liest, findet etwas bei Wikipedia, ansonsten sei noch einmal auf die Seite der Avram Davidson Society verwiesen.
Kaufen kann man Chance Meeting (noch) bei Wessels Temporary Culture, das Porto ist günstig (es geht ja nur um ein Heftchen).

Preise

Avram Davidson: "
Chance Meeting. Avram Davidson & Philip K. Dick", 
Upper Montclair, New Jersey: 
The Nutmeg Point District Mail (
2018). 
16 Seiten. USD 20 + 5 Versandkosten

Samstag, 5. Dezember 2020

Auf Konferenzen und im Garten

Es ist die Jagd, natürlich: Ungewöhnliche Stück für die Sammlung finden sich doch fast nur noch im Ausland, d. h. für meine Sammlung in der Anglosphäre. Und als ich dieses unbekannte Objekt sah, in England, diesseits der Portomauer und zu vernünftigem Preis, musste ich zuschlagen.
Programmheft von "Take Them to the Garden"
Take Them to the Garden von John Dowie
Take Them to the Garden von John Dowie enthält in drei Kapiteln – oder wohl eher Aufzügen – Zitate aus verschiedenen überwiegend nicht-fiktionalen Texten von Philip K. Dick. John Dowie ist ein britischer Schauspieler, Komödiant und Musiker und Dick Enthusiast. Der enthaltene Text wurde verschiedene Male von Dowie aufgeführt, also vermutlich vorgetragen. 
Einige Informationen zur Aufführung finden sich dazu im Impressum. Die erste Aufführung war am 27. Mai 1990 in Brighton im The Grays, einen Ort, den das Internet nicht kennt – nicht untypisch für Dinge, die vor der grossen Singularität, dem Entstehen der Internets, passiert sind. 
John Dowie im Programmheft des Edinburgh Festival Fringe
von 1990, u. a. mit Take Them to the Garden
Hergestellt wurde das Programmheft für Dowies Auftritte 1990 beim Edinburgh Festival Fringe, dem weltgrössten Kulturfestival (mit einem grossen Anteil von Comedy). Laut Programmheft lief Take Them to the Garden vom 11. bis 25. August (nicht Montags), also 13 Mal im Pleasance, einen Ort, den es noch gibt und der sich auch finden lässt. Das Impressum gibt einer Auflage von 500 Stück an.
Nachfolgend gab es weitere Aufführungen, zunächst im Mai 1991 bei der Mexicon IV, einer britischen SF Convention in Harrogate, hier führt der Schauspieler John Joyce auch Dicks Rede in Metz auf. Im Oktober, am 19. und 20., folgte dann eine Aufführung am ersten Abend der Philip K. Dick Celebration am Epping Forrest College in Essex. Mitorganisiert ist diese Veranstaltung von John Joyce, der laut Impressum bereits eine ältere Version des Textes aufgeführt hat. Diese Celebration versammelt viele Namen aus dem PKD-Fan-Universum der Zeit, auch Paul Williams und Gregg Rickman sind da. (Das Programmheft dazu ist auch legendär schwer zu finden, es gibt aber wohl sogar Videoaufnahmen.)
Impressum und Widmung
Das Impressum von Take Them to the Garden
Das Impressum enthält auch ein ©opyright „John Dowie/The Estate of Philip K. Dick“ und eine Danksagung an Paul Williams, den Dowie offenbar kannte – und über den die Rechtevergabe  für die Texte vermutlich gelaufen ist. Ob die Rechte heute noch so zu bekommen wären, ist fraglich. Ich befürchte, der Welt entgehen so einige Schöpfungen, die nie entstehen können. Nun ja.
Finden lassen sich Sammlerobjekte wie dieses Programmheft fast nur zufällig. Trotz einer relativ hohen Auflage von 500 Stück muss man bei einem Programmheft von einer grossen Verlustquote ausgehen. Das Programmheft der Philip K. Dick Celebration, in vermutlich deutlich kleinerer Auflage erschienen, ist dagegen bei Fans gelandet und vermutlich gut verwahrt, die Exemplare befinden sich trotzdem (oder deswegen) nicht im Umlauf. Beide Objekte – und überhaupt Objekte diese Art – muss man sofort ergreifen, wenn sich die Möglichkeit bietet, so man sie denn in seiner Sammlung möchte.

Preise

John Dowie: "Take them to the Garden", 1991. Gelegentlich für GBP 14,95