Samstag, 20. November 2021

Der König ist tot, es lebe die Königin!

Philip K. Dicks Roman Blade Runner, ursprünglich erschienen unter dem Titel Do Androids Dream of Electric Sheep?, sind eine Widmung, drei Verszeilen eines Gedichts von William Butler Yeats sowie eine Zeitungsmeldung vorangestellt. Diese drei kurzen Textteile sind leicht überlesen, hinter jedem verbirgt sich aber eine umfassendere Geschichte. Die Widmung an seine Schwiegermutter wurde in diesem Blog schon kurz behandelt und etwas umfassender im vorigen Blogeintrag die Verbindung zu Yeats betrachtet.
Auch die Meldung von Reuters aber hat ihre Geschichten.
Auckland

A TURTLE WHICH EXPLORER CAPTAIN COOK GAVE TO THE KING OF TONGA IN 1777 DIED YESTERDAY. IT WAS NEARLY 200 YEARS OLD.

THE ANIMAL, CALLED TUʻIMALILA, DIED AT THE ROYAL PALACE GROUND IN THE TONGAN CAPITAL OF NUKUʻALOFA.

THE PEOPLE OF TONGA REGARDED THE ANIMAL AS A CHIEF AND SPECIAL KEEPERS WERE APPOINTED TO LOOK AFTER IT. IT WAS BLINDED IN A BUSH FIRE A FEW YEARS AGO.

TONGA RADIO SAID TU’IMALILA’S CARCASS WOULD BE SENT TO THE AUCKLAND MUSEUM IN NEW ZEALAND.


Reuters, 1966
Tatsächlich ist im Mai 1966 Tu'i Malila, eine sehr alte, blinde Schildkröte, die lange am Hof des Königs von Tonga gehalten wurde, verstorben. Die Tradition überliefert, das es sich bei dem männlichen Tier um ein Geschenk des berühmten britischen Seefahrers und Entdeckers James Cook handelt, das dieser dem damaligen Herrscher 1777 während seiner dritten Südseereise geschenkt hat. Nach ihrem Tod ist die Schildkröte nach Neuseeland zum Auckland Institute and Museum geschickt und dort untersucht und konserviert worden.
Eine Schildkröte und "Blade Runner"
Nicht Tu'i Malila, sondern ein kleinerer Verwandter
Man darf annehmen, dass die Meldung real ist und nicht vom Autor erfunden. Der Inhalt der Meldung ist plausibel und entspricht dem damaligen Kenntnisstand, dazu mehr unten. Das Buch wurde 1968 veröffentlich, geschrieben hat Dick das Buch 1966: Man kann sich gut vorstellen, wie er die Meldung bei der Lektüre aus der Zeitung ausgerissen und auf den Stapel der fertigen Manuskriptseiten gelegt hat. Und wie sonst hätte Dick von diesem Ereignis – oder überhaupt der Existenz dieses Tieres – und den genannten Details erfahren sollen, um es dann als (fiktive) Zeitungsmeldung zu verarbeiten? Nicht gänzlich auszuschliessen ist aber, dass Dick die Meldung literarisch bearbeitet hat. Es bleibt also eine Übung die Originalmeldung im Archiv von Reuters zu recherchieren.

Samstag, 13. November 2021

Der Gesang des glücklichen Schäfers

Die neueste Ausgabe des Blade Runners aus dem vorigen Blogeintrag hat mich noch einmal den Blick auf das Motto dieses Romans werfen lassen. Das Motto ist hier ein literarisches Zitat als vorangestellter (kurzer) Leitgedanken für den Roman. 
Die Verse stammen aus dem im Buch ungenannten Gedicht The Song of the Happy Shepherd von William Butler Yeats. Es steht zwischen Widmung und der Meldung von Reuters und qualifiziert als ein solches Motto:
And still I dream he treads the lawn,
Walking ghostly in the dew,
Pierced by my glad singing through
So steht es nach der Widmung in Do Androids Dream of Electric Sheep? und so steht es zunächst auch in deutschen Übersetzungen. Erst in der aktuellen Neuübersetzung von Manfred Allié sind auch diese Verse übersetzt:
Und immer noch seh ich im Traum
Ihn geisterhaft durchs Taugras springen,
Erfüllt von meinem heitren Singen.
Die Gedichte von W. B. Yeats
Es bleibt etwas unklar, wer diese Übersetzung verfertigt hat. Denn ein Blick in Die Gedichte, die Neuübersetzung von Yeats Lyrik, erschienen bei Luchterhand (2005), zeigt, dass Mirko Bonné, Übersetzer des ersten Buches, Scheidewege, die dieses Gedicht enthalten, diese Worte gewählt hat. Bei Bonné heisst das Gedicht Der Gesang des glücklichen Schäfers. Man muss annehmen, dass Allié hier diese Übersetzung übernommen hat; ein Hinweis dazu fehlt in allen drei Ausgaben der Allié-Übersetzung.
In den Worten und Werken von Philip K. Dick gibt es zahlreiche Bezüge zu Yeats, dabei mehrfach zu diesem Gedicht. Im kurz nach Blade Runner geschriebenen Der galaktische Topfheiler [Galactic Pot-Healer, 1969] zitiert ein taxifahrender Roboter es. Im wiederum kurz danach geschriebenen Die Mehrbegabten [Our Friend from Frolix 8, 1970] wird es ohne Nennung des Titels erwähnt; und da das Gedicht „vor [Bob] Dylan“ ist, interessiert es die junge Freundin des Protagonisten im Roman nicht – man mag vermuten, dass Dick hier eigene Erfahrungen verarbeitet, seine Frau Nancy war zu dieser Zeit Anfang zwanzig (und letztlich war Dylan mit seiner Lyrik ja wohl auch nicht schlechter, seinen Nobelpreis hat er 2017 erhalten).
Zu einem Höhepunkt kommen die Bezüge zu Yeats in Dicks letzten Werken, der (sogenannten) Valis-Trilogie: Der zweite Band, Die Göttliche Invasion, zitiert den glücklichen Schäfer und Die Wiedergeburt des Timothy Archer zitiert dann genau die drei Verse aus dem Blade Runner

Samstag, 6. November 2021

Blade Runner (Teil 14)

Schon 2019 sind die Soulmates erschienen. Zehn Bände Männerliteratur aus den Männerwelten: Es geht um Androiden, Milliardäre, Boxer, Senatorensöhne, Bergmänner, Armenärzte, Polarforscher; Helden. Männer eben. Aber halt, es ist natürlich „Männerliteratur“, denn Männer gibt es nicht mehr, nur noch „Männer“. Und so war der Aufschrei auch gross – zehn Bücher und keines von einer Frau dabei!
Band 1 der Soulmates: Blade Runner von Philip K. Dick