Samstag, 19. November 2022

Lost in Translation (2): Wyatt Earp

Dieser Blogeintrag ist etwas länger geworden. Aber ich verspreche Kurzweil, es gibt Cowboys und Nazis, die aufeinander schiessen. Und die Länge ist überwiegend den ausführlichen, aber lohnenden Zitaten geschuldet.
Es geht noch einmal um Übersetzungen, nach Ubik hier nun über Philip K. Dicks Meinung zur Übersetzung von The Man in the High Castle ins Deutsche.
The Man in the High Castle von Vintage und auf Deutsch von König und neu übersetzt von Heyne

Samstag, 12. November 2022

Keine Meisterleistung von Gollancz

Gollancz ist seit langem die britische Heimat für das Werk von Philip K. Dick. Schon vor sechzig Jahren, 1962, ist eine erste Kurzgeschichte von Dick bei Gollancz erschienen, Second Variety. Sie ist in der von Kingsley Amis und Robert Conquest herausgegebenen Anthologie Spectrum II zu finden. Die Verfilmung unter dem Titel Screamers - Tödliche Schreie wird meines Erachtens meist unterschätzt. Ansehen!
Der erste Roman von Dick bei Gollancz war 1971 der Galactic Pot-Healer. Danach erschienen Dicks Werke ziemlich komplett in diversen Ausgaben und Reihen, die umfangreichste sind die Masterworks.
Zwei nur fast identische Ausgabe
Flow My Tears, the Policeman Said in zwei nur fast identischen Ausgaben bei Gollancz 
Über die Masterworks kann man im Blogeintrag zu den Masterworks nachlesen. Ein aktueller Neuzugang in der Sammlung hat nun zu einer neuen Erkenntnis geführt. In einem feinen Bonner Fachgeschäft für Comics et al. konnte ich eine verlagsfrische Ausgabe von Flow My Tears, the Policeman Said für sehr wenig Geld erwerben; das Buch war schon in der Sammlung, aber hier hatte es eine andere ISBN, in dieser Reihe gibt es das ja des öfteren. Und wenn man schon mal die Gelegenheit hat, quasi live zu kaufen … .
Im Vergleich: 4. Auflage links, 
2. Auflage rechts – mit Nummer
Eine nähere Untersuchung hat dann aber eine weiteren Unterschied aufgezeigt: die Ausgaben der ursprünglichen Reihe waren von 1 bis 73 nummeriert. Bei der Neuerwerbung, einer vierten Auflage (laut Numberline), fehlte aber die Angabe der Nummer. Der Roman ist die Nummer 46 der Reihe und so kann man es auch auf der vorhandenen und hier gezeigten zweite Auflage (Second impression February 2003) auf Rücken und Rückseite sehen.
Wirklich überraschen sollte diese Änderung nicht, man ist es von Gollancz bzw. Orion gewöhnt, dass es immer wieder kleinere Arbeiten an der Gestaltung der Umschläge gibt, so auch hier beschrieben für Do Androids Dream of Electric Sheep aus der neuen Masterworks Reihe. Dabei kann wohl auch eine Nummer verloren gehen, zumal es gerade mit den Nummern wohl einige Probleme in der Reihe gab: So schreibt die englische Wikipedia über die MasterworksSome printings do not include a number stamp, or the incorrect number stamp appears on the cover. So ist es ja auch der Nummer 73 ergangen.
  • Gänzlich unklar ist, ob es weitere Varianten ohne Nummer bei anderen Büchern der Reihe, insbesondere bei den Romanen von Dick gibt. Das ist allerdings recht mühsam herauszufinden, Angebote haben meist nur ein Bild der Vorderseite. Ich werde jetzt Ausschau nach Bildern der Rückseiten halten. (Als erstes Ergebnis der Suche hat sich eine weitere Variante gezeigt, die zwar die Nummer, aber nicht die roten Striche über und unter dem Schriftzug Masterworks auf dem Rücken zu haben scheint. Also eine noch geringere Abweichung ... nun ja.)
Die Rückseiten: 2. Auflage mit Nummer links
4. Auflage ohne Nummer rechts
Natürlich ist die fehlende Nummer nur eine minimale Abweichung, aber dem einen oder anderen Sammler sind diese Unterschiede wichtig, daher ist sie hier erwähnt. Auch bei der deutschen Ausgabe von Eine andere Welt ist neulich in diesem Blog über eine winzige Abweichung berichtet worden.
Ausgaben der Reihe finden sich immer wieder auch in Deutschland, sowohl gebraucht als auch neu – das spart Porto. Die feinen Details sind aber oft in den Angeboten nicht beschrieben, so dass die Suche nicht einfach ist … falls man sich überhaupt dafür interessiert.

Samstag, 5. November 2022

Lost in Translation: Kennwort Ubik

Ein älterer Blogeintrag erwähnt Dicks Misstrauen gegenüber der deutschen Übersetzung von The Man in the High Castle. Weitere Recherchen dazu haben mich zu Dicks Aufsatz How to Build a Universe That Doesn't Fall Apart Two Days Later von 1978 geführt. Dicks Biograph Lawrence Sutin schreibt in seinem Standardwerk The Shifting Realities of Philip K. Dick, dass der Text als Rede geschrieben sei, die vermutlich nie gehalten wurde. In dieser Rede berichtet Dick von einem anderen deutschen Übersetzungsproblem. Es heisst in der Rede, gegen Ende (fett jeweils von mir):

If any of you have read my novel Ubik, you know that the mysterious entity or mind or force called Ubik starts out as a series of cheap and vulgar commercials and winds up saying:
I am Ubik. Before the universe was I am. I made the suns. I made the worlds. I created the lives and the places they inhabit; I move them here, I put them there. They go as I say, they do as I tell them. I am the word and my name is never spoken, the name which no one knows. I am called Ubik but that is not my name. 
I am. I shall always be. It is obvious from this who and what Ubik is; it specifically says that it is the word, which is to say, the Logos. In the German translation, there is one of the most wonderful lapses of correct understanding that I have ever come across; God help us if the man who translated my novel Ubik into German were to do a translation from the koine Greek into German of the New Testament. He did all right until he got to the sentence "I am the word." That puzzled him. What can the author mean by that? he must have asked himself, obviously never having come across the Logos doctrine. So he did as good a job of translation as possible. In the German edition, the Absolute Entity that made the suns, made the worlds, created the lives and the places they inhabit, says of itself: 
I am the brand name.
Had he translated the Gospel according to Saint John, I suppose it would have come out as:
When all things began, the brand name already was. The brand name dwelt with God, and what God was, the brand name was.
It would seem that I not only bring you greetings from Disneyland but from Mortimer Snerd. Such is the fate of an author who hoped to include theological themes in his writing. “The brand name, then, was with God at the beginning, and through him all things came to be; no single thing was created without him.” So it goes with noble ambitions. Let’s hope God has a sense of humor.
Or should I say, Let’s hope the brand name has a sense of humor.
Da kommt die deutsche Übersetzung von Ubik an aber nicht gut weg – das ist wirklich böse Schelte, zumindest für diese eine (wichtige) Stelle. Der „Mann“, der da so versagt hat, ist Renate Laux, deren Übersetzung von Ubik im Jahr zuvor, 1977, bei Suhrkamp erschienen ist. Vermutlich hatte Dick die Ausgabe nicht lange zuvor in der Hand und seine Emotionen haben direkt Eingang in sein Essay gefunden.
Ubik (von links):1. Auflage Suhrkamp (1977), 5. Auflage Heyne (2003) und 1. Auflage Fischer (2014)  
Aber wir lesen über die deutsche Übersetzung des englischen Texts hier auf Englisch. Was steht denn im deutschen Text? Das Zitat ist das Motto des 17. und letzten Kapitel des Romans. Renate Laux hat so übersetzt:
Ich bin UBIK. Mich gab's schon, bevor es das Universum gab. Ich habe die Gestirne gemacht, ich habe die Welt geschaffen. Ich habe Leben geschaffen und den Raum, in dem es existiert. Ich lenke es hierhin, ich lenke es dorthin. Es bewegt sich nach meinem Willen, es tut, was ich sage. Ich bin das Kennwort, mein Name wird nie ausgesprochen, mein Name, den niemand kennt. Ich werde UBIK genannt, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde immer sein.
Aus Dicks „word“ wird hier also „Kennwort“. Wirklich treffend ist das nicht, findet der Autor dieses Blogs. Laux mag den einfachsten und offensichtlichen Weg der Übersetzung, nämlich „word“ mit „Wort“ zu übersetzen, gescheut haben, (gerade) weil sie den manifesten Bibelbezug vermeiden wollte. Denn der Ausdruck „Ich bin das Wort“ war der Redakteurin des Hochliteraturverlags Suhrkamp sicher bekannt, auch wenn Dick das ganz explizit nicht glauben mag. Denn diesen Bibel- bzw. Gottesbezug wollte Dick explizit herstellen., In seinem Essay liest man: It is obvious from this who and what Ubik is – nämlich Gott, oder zumindest eine Variante davon, Dicks Gottesbild ist ja durchaus fliessend, speziell seit 2-3-74.
Heyne lässt die Übersetzung des Romans durch Renate Laux von Alexander Martin für die Ausgabe in der Philip K. Dick Edition von 2003 überarbeiten, wie auch die Übersetzungen von fünf weiteren Büchern. Für das Motto finden wir von Martin dort:
Ich bin UBIK. Ich war, bevor das Universum war. Ich habe die Sonnen und die Welten gemacht. Ich erschuf das Leben und das Land für das Leben. Ich lenke es hierhin, ich lenke es dorthin. Es bewegt sich nach meinem Willen, es tut, was ich sage. Ich bin das Wort und mein Name wird niemals ausgesprochen, der Name, den niemand kennt. Ich werde UBIK genannt, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde immer sein.
Der Rabe 59
Er hat es also richtig gemacht. Dicks Essay ist 1985 erstveröffentlicht und 2000 bei Haffmans auch auf Deutsch erschienen, vielleicht hat Martin der Wille des Autoren so posthum erreicht. Oder er hat es einfach besser gewusst. Martins Name fehlt leider in der Neuausgabe bei Fischer (2014), es handelt sich aber um die von ihm überarbeitete Version. Nun ja, Fischer lag auch schon beim Blade Runner mit der Angabe des Übersetzer mal daneben, in den fünf anderen von Martin überarbeiteten Büchern erscheint sein Name auch bei Fischer.
Soweit zur Übersetzung. Aber in seinem Text kritisiert Dick spezifisch die Wahl des Wortes „brand name“. Ein „brand name“ ist ein „Markenname“ und so meint Dick das in seinem Essay auch. „Kennwort“ übersetzt sich aber keinesfalls als „brand name“. Dicks Rückübersetzung und sein Verständnis dafür waren also fehlerhaft. Aber Dick war auch kein Übersetzer, sein Deutsch nicht fliessend. Und für eine Pointe wäre Dick wohl auch bereit, (s)einen deutschen Übersetzer in die Pfanne zu hauen.
Man beachte aber, dass der besprochene Abschnitt eine zentrale Textstelle ist, sehr relevant für den Roman und vielleicht überhaupt Dicks Werk, deshalb wird sie auch sehr viel zitiert. Dicks kritischer Blick ist also nicht willkürlich, sondern auf eine zentrale Aussage des Buches konzentriert, wir müssen ihm hier den ansonsten vielleicht überkritisch wirkenden Blick erlauben.
Die Rekursion der Übersetzung lässt sich noch einen Schritt weitertreiben. Denn auch Dicks Essay ist ja, wie erwähnt, übersetzt worden, als Wie man eine Welt erbaut, die nicht nach zwei Tagen wieder auseinanderfällt im Magazin Rabe 59 bei Haffmans (2000). Peter A. Schmidt übersetzt dort so:
Ich bin Ubik. Noch bevor die Welt war, war ich. Ich habe die Sonnen gemacht. Ich habe die Welten gemacht. Ich habe die Lebewesen geschaffen und die Orte, die sie bewohnen. Ich versetze sie hierhin, ich versetze sie dorthin. Sie gehen, wohin ich ihnen befehle, sie tun, was ich ihnen sage. Ich bin das Wort, und mein Name wird nie ausgesprochen werden; es ist der Name, den keiner kennt. Man nennt mich Ubik, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde ewig sein.
In der deutschen Übersetzung sagt das absolute Wesen, das die Sonnen, die Welten und die Lebewesen und die Orte, die sie bevölkern, geschaffen hat, über sich selbst:
Ich bin das Kennwort.
Wenn dieser Mann das Johannesevangelium übersetzt hätte, wäre wohl herausgekommen:
Am Anfang war das Kennwort, und das Kennwort war bei Gott, und Gott war das Kennwort.
Einerseits übersetzt Schmidt das Zitat aus Ubik neu, andererseits holt er sich den kritisierten deutsche Ausdruck offensichtlich aus der Übersetzung von Laux. Denn Dicks „brand name“ wäre sicher kein „Kennwort“ geworden. Gut gemacht, Herr Schmidt!

Dick und Deutsch

Dick hat sich sicher mit einigen deutschen Übersetzungen beschäftigt. Auch wenn seine Aussagen nicht ganz präzise sind – „brand name“ ist keinesfalls die Übersetzung von „Kennwort“, das wäre eher „password“ gewesen.
Über seine Inspektion der deutschen Erstausgabe von Das Orakel vom Berge beim König Verlag (1973) erzählt er 1976 in einem Interview (Missouri Review, Winter 1984):
I stayed up night and day with my Cassell's German-English Dictionary and I read every single word, comparing the German line by line with the English.
Das gibt einen Eindruck von Dicks Arbeitsweise. Nur kurz erwähnt sei hier, dass sich diese Kontrolle der Übersetzung im Brief an Spinrad deutlich anders anhört als im Interview, aber das bedarf einer separaten Betrachtung, die dieser Blog folgen lassen wird.
Dicks Essay How to Build a Universe That Doesn't Fall Apart Two Days Later lässt sich im Internet vielerorts nachlesen, man sollte das auch durchaus tun – hier findet sich die Essenz von Dick. Auf Deutsch finde man das Essay als Wie man eine Welt erbaut, die nicht nach zwei Tagen wieder auseinanderfällt im Raben 59 und im Der Philip K. Dick Companion, Haffmans (2008) im Schuber der Sämtlichen 118 Geschichten.