Es ist schon wieder etwas her, seit ich über die ersten beiden Ausgaben des Magazins !Time Machine berichten konnte. In der zweiten Ausgabe fand sich ein Artikel von Hans Frey über Religion und Science Fiction. Es wurde dort das Thema „esoterischer Nordlandmythen“ gestreift und dabei auch Otto Basils Alternativweltroman Wenn das der Führer wüsste herausgehoben und (natürlich) mit Philip K. Dicks Roman Das Orakel vom Berge verglichen; seinerzeit wurde ja gerade die vierte Staffel der Serie The Man in the High Castle bei Amazon veröffentlicht, die auf Dicks Buch basiert.
Helmut Wenskes Umschlagbild für Otto Basils Wenn das der Führer wüsste |
Nun hat auch Basils Werk den Weg in meine Sammlung gefunden, leider innen etwas schmutziger als der sehr saubere Umschlag erwarten liess. Das Thema des Romans ist aber nur der halbe Grund, der andere ist das sehr ansehnliche Umschlagbild.
Wenn das der Führer wüsste
Im Buch folgen wir dem Strahlungsspürer Albin Totila Höllriegel. Und hier zeigt sich der grösste Unterschied zu Dicks Roman, den ich in diesem Blog eben für einen Vergleich hinzuziehen muss: Dicks Protagonisten sind sympathische Menschen, zu denen der Leser Mitgefühl entwickeln muss, Mr. Tagomi ist vielleicht sogar die tiefgründigste Figur in Dicks Werk. Höllriegel dagegen ist sicher auch in gewissen Umfang ein Opfer (der allgemeinen Umstände), insgesamt zeigt er aber wenig Reflektion oder gar Mitleid … und dabei ist er ein begeisterter Täter, der die Umstände gerne nutzt. Auf jeden Fall will man keine Sympathien für diesem Menschen entwickeln – oder irgend einen anderen, dem Höllriegel begegnet. Basil zeigt die Brutalität und Perversion des Nationalsozialismus, Dick zeigt uns Menschen in schwierigen Situationen, der Alternativweltroman ist das gemeinsame Mittel. Natürlich deutet auch Dick die Brutalität der Nazi-Herrschaft an, es ist aber nicht sein Thema. Als er sich für die Fortsetzung seines Romanes tiefer damit beschäftigt und nach eigener Aussage auch Protokolle von Verhören mit Tätern liest, gibt er auf: Das Thema wird für ihn zu brutal.Eine ausführliche Kritik zu Basils Roman zur Neuauflage von 2010 kann man andernorts nachlesen.
Darf man das?
Die Ausgabe von Moewig hat ein Vorwort von Helmut Krohne, das nur hier publiziert ist und das Werk politisch korrekt einordnet. Krohne ist ein Bekannter von Alpers, sie haben gemeinsam publiziert, Alpers war zeitweise Redakteuer der (sehr) linken Science Fiction Times.
Basil stellt die Brutalität der nationalsozialistischen Herrschaft mit dem Mittel der Satire da. Ist die Beschreibung eines solchen fiktiven Erfolges der Nazis aber geeignet – oder doch eher problematisch? Dirk Rupnow schreibt in Vernichten und Erinnern, dass das Beschreiben eines (End-)Sieges ein problematisches Unternehmen in Ländern der Niederlage ist, weil ein fragwürdiger nostalgischer Impuls sichtbar wird. D. h. beim Autor und ggf. auch beim (deutschen) Leser kommt vielleicht doch eine klammheimliche Freude beim Gedanken eines für Deutschland siegreichen Ausgangs des zweiten Weltkrieges auf (man möchte sagen, in der zeitlichen Nähe von 1966 vielleicht noch mehr als heute, muss aber wohl einsehen, dass das heute für einige doch eher mehr der Fall ist).
Basil zeigt uns nun die Konsequenzen dieses fiktiven Sieges, ich denke nicht, dass dabei Freude aufkommt: Passierscheine, Bezugsscheine, Formulare ... und alles ist grau und bedrückend und angsterregend, selbst für die Protagonisten. Und auch Dicks Roman taugt nicht, um sich über einen deutschen Sieg zu begeistern, wir sehen auch wenig deutsche Sieger.
Problematischer ist es da allerdings mit der Verfilmung bei Amazon: The Man in the High Castle zeigt viele prächtige Uniformen, glänzende Lederstiefel und alles, was das amerikanische Kino seit Jahren auffährt, um oppulente Bilder zu gestalten. Natürlich sind die Nazis immer böse und werden besiegt, aber schön anzusehen sind sie dabei.
Kannte Basil Dicks Roman?
Die Erstveröffentlichung von Wenn das der Führer wüsste war 1966, The Man in the High Castle ist 1962 erschienen, die deutsche Übersetzung bei König aber erst 1973. Ein Hugo-Gewinner war aber sicher kein Geheimnis in Österreich, Basil der SF-Szene aber wohl eher fern: Basils einziger Roman ist auch sein einziger Beitrag zur Science Fiction, daher wird es wohl in der SF Gemeinschaft wenig erwähnt. Hans Joachim Alpers nennt den Roman dann im Nachwort aber einen der wichtigsten literarischen Beiträge zur deutschen Science Fiction, trotzdem ist es von Basil wohl ein unabsichtlicher Beitrag zum Genre. Auch Robert Harris Alternativweltroman Vaterland (Fatherland, 1992) ist wohl eher dem im angelsächsichen eher spielerischen Umgang mit Geschichte zuzuschreiben als eine Neigung zu Science Fiction. Auf deutscher Seite fällt einem noch Carl Amery ein, er hat sich auch mit einige Beiträge der Science Fiction zugewandt, sein Roman Der Untergang der Stadt Passau, Erstausgabe bei Heyne (1979), sei genannt, weil mein Favorit. Es gibt aber gerade in den letzten Jahren zunehmend deutsche Beiträge zum Thema Alternativweltroman.
Die Vergleiche der Romane von Basil und Dick sind erst viel später gemacht worden. Ausserdem hat Dick den Alternativweltroman nicht erfunden, Basil brauchte Dick nicht … eine sichere Aussage kann und braucht man also nicht machen.
Und so …
Das oben angesprochene Umschlagbild ist von Helmut Wenske, der auch für einige Romane von Dick die Illustration der Umschläge gemacht hat, dazu vielleicht später mehr in diesem Blog.Zu kaufen gibt es alle drei Ausgaben des Buchs, einfach und günstig – Sammler (und Alternativweltromane sind ein schönes Sammelgebiet), bitte auf die Erhaltung achten, gerade Moewig von 1981 ist gerne eine Remittende. Die neueste Ausgabe gibt es auch noch frisch beim Verlag. Lesen lohnt sich, handelt es sich doch (leider) um ein inhaltlich aktuelles Werk.
Im vergangenen April ist gerade die dritte Ausgabe der !Time Machine beim Wurdack Verlag herausgekommen.
Der Web-Tipp ist die sehr umfassende englischsprachige Seite Uchronia, eine Liste der Alternativweltgeschichten in verschiedenen Sprachen (inklusive Esperanto!). Die Liste ist naturgemäss unvollständig, so fehlt bei den deutschen Ausgaben Thomas Zieglers Die Stimmen der Nacht, aber auch Katharine Burdekins prophetisch-feministisches Die Nacht der braunen Schatten [Swastika Night]. Eine sehr unvollständige Bibliographie zum Thema gibt es auch hier im Blog.
Preise
"Wenn das der Führer wüsste" von Moewig ab 10 Euro für ein sauberes ExemplarDie neue Ausgabe von Milena, ISBN 978-3-85286-197-5 vom Verlag für 18,90 Euro
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen