Samstag, 20. Juli 2024

Das Philip K. Dick Festival 2024 in Fort Morgan

Der Höhepunkt des Dick-Jahres, und auch der bisherige Höhepunkt dieses Blog, der nun schon im zehnten Jahr stattfindet, liegt hinter uns: das Philip K. Dick Festival 2024, kurz Dick-Fest, hat vom 13. bis 16. Juni seinen Lauf genommen.
Und wie versprochen hat auch dieser Blog einen Korrespondenten entsendet, der nun hier berichten soll: Auf sollte es gehen, zum 3. Philip K. Dick Festival. Zielort der Reise war Fort Morgan, ein Flecken von aus der Ferne vogelwohnungsartiger Anmutung, ein Eindruck, der sich später bestätigen sollte: Kernland nennt man das in den Vereinigten Staaten.
Die Anreise erfolgte über Denver, das mit seinem Internationalen Flughafen (Achtung: DEN, nicht DIA) die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Eine frühe Anreise liess Zeit für einen Abstecher nach Boulder, wo man sich in der Pearl Street unter die Studenten mischen und in den umgebenden Flatirons, Ausläufern der Rocky Mountains, wandern kann (Achtung: die saisonal auftretenden jungen Klapperschlagen sind aggressiv!).
Ein sicherer Ort
Sicher ist sicher
Primärziele in Denver und Boulder waren natürlich die lokalen used book stores mit einem grossen Angebot an Science Fiction – diese Art ist in Deutschland praktisch ausgestorben, hier aber noch gut vertreten. Das vorgefundene Angebot war dennoch nur mässig: Ja, Dick kommt viel rein, wird aber auch gleich wieder verkauft, heisst es unisono. Also nicht nur nach Dick geguckt, sondern auch nach anderen Autoren im Katalog und so fanden sich einige Kuriosa: eine gute Zahl Bücher mit Testimonials und Widmungen. Zeitaufwändig war die Suche nach Magazinen, aber ein paar Treffer machten schliesslich auch daraus eine lohnende Aufgabe.
Am ergiebigsten erwiess sich Fahrenheit's Books in Denver. Der vielversprechende Name dieses Geschäfts war mehrfach gefallen, durch die eingeschränkten Öffnungszeiten war aber der Besuch erst am Tag der Anreise nach Fort Morgan möglich, ein Umweg, der sich schliesslich mehr als gelohnt hat: Uwe Antons Welcome to Reality
Eine erste Begrüssung in Fort Morgan
war Teil der geplanten Präsentation am folgenden Tag und daher ein Pflichtkauf: das einzige deutsche Buch, dass es ins Englische geschafft hat - und daher schon länger eine schmerzende Lücke in der Sammlung. Erst nach dem Kauf zeigte sich, dass das Exemplar von Paul Williams signiert ist. Natürlich handelt es sich nur um die kleine, d. h. die Paperback-Ausgabe und der Zustand ist nur gut, trotzdem ein schöner Fang. Das zweite hier erwähnenswerte Exemplar war zunächst nur ein Beifang: Philip K. Dick von Douglas Mackey, eine umfassende Untersuchung der Werke von Dick (mit biographischen Betrachtungen), nicht selten und hier nur durch die Vermeidung der Versandkosten günstig.
Dann ging es eine Stunde durch die flache Landschaft, mit den Rocky Mountains im Rücken, nach Fort Morgan. Die Unterbringung war so gewählt, dass das Stadtzentrum, insbesondere Cable's Bar, zu Fuss erreichbar sein sollten. Dort traf man dann im Laufe des Abends auch weitere Pilger: Das Fest hatte begonnen.

Die Vorträge

Die offizielle Eröffnung am folgenden Tag erfolgte durch Lord Running Clam, das ist David Hyde, dessen umfangreiches Wirken für Philip K. Dick hier nur kurz erwähnt sei: Langjähriger Fan, Herausgeber von For Dickheads Only, Autor, Organisator voriger Dick-Feste, Mit-Herausgeber bei Wide-Books. Im Anschluss kam Suzanna Spear vom Fort Morgan Community College zu Wort, denn dort fanden die Vorträge statt  eine sehr schöne Einrichtung, natürlich mit einem tornado shelter, der glücklicherweise nicht benötigt wurde.
Die erste Präsentation hatte den Titel Germany and Philip K. Dick – Philip K. Dick and Germany. Viele der vorgetragenen Punkte finden sich hier im Blog, ein paar allgemeine Einführungen über die Situation der Science Fiction in Deutschland, die die Einordnung erleichtern sollten, wurden hinzugefügt.
Der zweite Vortrag hatte das Thema Collected Works of Anne R. Dick und wurde von Frank Hollander gehalten, den ich endlich persönlich kennenlernen durfte. Hollander ist auch Sammler, allerdings auf einem ganz anderen Niveau, als das dieser Blog zeigen kann. Ein frühes Manuskript von Annes Search for Philip K. Dick ist nicht nur ein beeindruckendes Sammlerstück, sondern ermöglicht durchaus tiefere Einblicke in Dicks Verhältnis zu Anne und ihrer Familie.
Im grossen Saal geht es weiter mit Blake Wilsons Präsentation Perturbations in the Reality Fields: Logos, Gnosis, and Aletheia in Phil Dick’s Late Works. Dieser Vortrag war, wie die meisten der folgenden Beiträge, akademisch – Wilson arbeitet an der California State University. Allerdings schildert Wilson persönliche Erfahrungen, seine erste Begegnung mit Dicks Werk und dessen Einfluss und auch dadurch wir sein Vortrag, sehr lebendig. Wilson hat auch ein Buch über Werner Herzog herausgegeben, The Philosophy of Werner Herzog, Lexington Books (2020). 
Gabriel Mckee illustriert seinen Vortrag mit
Helmut Wenskes Umschlagbild für Valis
Gabriel Mckee beeindruck in 'I Am a Machine': Programming and Control in Dick's Exegesis mit (nicht nur) seinen Übersetzungen aus dem Koptischen. McGee ist Bibliothekar am Institute for the Study of the Ancient World an der New York University. Sein Buch Pink Beams of Light from the God in the Gutter ist in der Sammlung (leider habe ich es nicht signieren lassen).
Der letzte Vortrag des Tages ist von Ted Hand: Rosicrucian PKD, der Rosenkreuzerische PKD. Hand ist  wohl am bekanntesten für seine Arbeit an und mit der Exegesis. Und er ist der Mit-Schöpfer des Philip K. Dick Tarots, das man bei Wide-Books noch bestellen kann … und was sicher auch in diesem Blog noch einmal auftauchen wird.
Das Abendprogramm fand im Buchladen Books on Main statt. Die Dick-Festler konnten der Aufnahme einer Ausgabe des Dickheads Podcast durch die Gastgeber David Agranoff und D. Harlan Wilson beiwohnen. Gäste waren Jonathan Lethem und Stephan Graham Jones, ein Dozent an der Universität Boulder, Schriftsteller und Kenner von Philip K. Dicks Werk. Ansehen kann man sich das noch auf YouTube.
Einige Teilnehmer fanden dann wieder den Weg zu Cable's Bar ein Stück die Hauptstrasse hinauf.
Den Samstag eröffnete David Gill, der die Vorträge des Fests organisiert hatte, in einer sehr launigen Retrospektive seines Online-Kurses zu Philip K. Dick, den er in in der ersten Jahreshälfte angeboten hatte – mit hochkarätigen Teilnehmern. Der Titel war Some Thoughts After a Semester Spend Dicking Around.
Es folgte Josh Lind mit der Präsentation zu Thema Zeit in Dicks Werken: Time and Its Opposite. Kein einfaches Material, es würde helfen, das noch einmal lesen zu können.
Andrew M. Butler beim Vortrag
Andrew M. Butler
Andrew M. Butlers The Animal that Therefore Thinks I Am: Dick's Animals, Androids and Humans war sehr intensiv präsentiert, dieser Vortrag ist auch bei YouTube anzusehen und lohnt sich unbedingt – nicht nur wegen den Delfinen. Butler ist Autor des Standardwerks Philip K. Dick, das alle Romane in Dicks Werk betrachtet (und das ich signieren lassen konnte).
Nach der Mittagspause erzählt der Podcaster des Vorabends, David Agranoff von seinem bevorstehenden Buch: Unfinished PKD. Er erzählt von seiner Recherche in Originalmanuskripten in diversen Archiven, die allein schon neidisch machen muss. Dieses Thema, das bisher von anderen Autoren nur angerissen ist, macht neugierig: dieses Buch wird sicher gekauft und hat das Potential zu einem Klassiker der Sekundärliteratur.
Der zweite Podcaster beschliesst die Vortragsserie: D. Harlan Wilson präsentiert Auszüge aus seinem kommenden Buch The Biographies Of Philip K. Dick: Infinite Regressions. Im Inhaltsverzeichnis ist Uwe Antons Welcome to Reality erwähnt, den Aspekt Meta-SF untersucht Wilson offenbar in seinem Buch. Auch diesen Vortrag kann man bei YouTube ansehen.
Jonathan Lethem
Jonathan Lethem
Nach diesem letzten Vortrag geht es ein paar Meilen westlich weiter, ein amerikanisches Barbeque – für mich ein weiteres Highlight. Man kennt sich jetzt (besser), es werden nicht nur Fachgespräche geführt (aber auch) … aber zwei Höhepunkte liegen noch in der Zukunft. Zuerst lässt man sich noch ein paar Bücher signieren und sondiert die Möglichkeit einer deutschen Ausgabe der Precious Artifacts – wäre doch eine schöne Idee.
Und dann kommt Jonathan Lethem, amerikanischer (Gross-)Autor, der schon am Vorabend beim Podcast von seiner faszinierenden Reise zu Dick erzählt hat: Er hatte das Thema Palästina bereits angekündigt und das liess Schlimmstes befürchten. In seiner Keynote bleibt Lethem dann zu diesem Thema aber abstrakt und streift es nur. Viel wichtiger ist das Buch Worlds Built to Fall Apart des französischen Philosophen David Lapoujade. Im französischen Original L'Altération des mondes von 2021, ist es erst Tage vorher in englischer Übersetzung erschienen.
Das Ende von Lethems Vortrag wurde von einem aufziehenden Gewitter begleitet. Das war stimmungsvoll, führte aber dazu, dass der nächste Programmpunkt (und mein persönlicher Höhepunkt), der Besuch des Grabes von Philip K. Dick, die Gruppe teilte. Einige liessen sich vom Regen nicht abhalten, andere warteten ab und kamen erst verspätet … Anschliessend ging es für einige dann noch ein letztes Mal in Cable's Bar.
Fort Morgan: Das Grab von Philip K. Dick
Das Grab: Phil und Jane
Die meisten Teilnehmer waren zum gemeinsamen Frühstück noch anwesend, man zerstreute sich dann. Da mein Flug erst am Abend ging schloss ich mich den letzten Unverdrossenen, die sich noch einmal beim Grab sammelten, noch zu einem Ausflug ins benachbarte Greeley an, wo uns David Gill die Stationen von Dicks mütterlichen Grosseltern zeigt, er hat das schon einmal ähnlich aufgeschrieben.
Die Reise war damit noch nicht beendet, Blog-relevante Aktivitäten waren dann der Besuch diverser Antiquariate in und bei New York City: ein paar nette Funde, aber keine Sensationen.
Fort Morgan: Das Grab von Philip K. Dick und ein paar Menschen
Ein letztes Zusammenkommen
Ein Fazit lässt sich kaum ziehen: Überwältigend, toll … und so wohl einmalig. Die Kalifornien-Fraktion der Teilnehmer holt das Festival aus der amerikanischen Prärie zurück an die Westküste: Das Festival in Orange County bei Los Angeles ist für 2026 bereits angekündigt. Auch der folgende Termin zum hundertstens Todesjahr 2028 in Berkeley ist bereits im Gespräch. Als Reiseziele sind diese Orte sicher attraktiver und mögen sogar mehr mit Dick zu tun haben, als der Ort an dem er zu Lebzeiten kaum je war – als sehr kleines Kind mag er dort seine Grosseltern besucht haben (man lese das in Sutin oder Rickman nach). Eindrucksvoll ist es aber doch, an seinem Grab zu stehen, einem Ort, den man von vielen Fotos kennt.
Und allen interessierten Lesern sei angeraten, schon mal das Sparschwein aufzustellen: Die Flüge sollten früh gebucht sein, das ist schon in weniger als einem Jahr möglich (wenn es dann schon feste Termine gibt). Und wer wirklich interessiert ist: Gerne hier melden!
Einige der Vorträge finden sich auf dem YouTube-Kanal The Philip K. Dick Festival, einen schönen behind the scenes Eindruck findet sich auf dem PKD Festival Instagram-Konto. Und viel besser als dieser Blogeintrag ist der vom super-umtriebigen David Agranoff in seinem Blog bei Amazing Stories: Lesen! Wenn ich David nicht selbst getroffen hätte, würde ich vermuten, dass er in Wirklichkeit ein veganes Komitee ist: so viel Aktivität von einer einzelnen Person ist gar nicht möglich! Und das Ziel ist die vegane Unterwanderung Amerikas … was vermutlich nichts Schlimmes ist (wenn man kein Rinderzüchter in Fort Morgan ist). Also auch noch ein Link auf seinen persönlichen Blog (mit extra-viel Dick-Inhalt). Und natürlich gibt es vom ihm etwas für den deutschen Leser: The Last Night to Kill Nazis, eine Rezension gibt's hier.

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