Der Höhepunkt des Dick-Jahres, und auch der bisherige Höhepunkt dieses
Blog, der nun schon im zehnten Jahr stattfindet, liegt hinter uns: das
Philip K. Dick Festival 2024, kurz Dick-Fest, hat vom 13.
bis 16. Juni seinen Lauf genommen.
Und wie versprochen hat auch dieser Blog einen Korrespondenten entsendet,
der nun hier berichten soll: Auf sollte es gehen, zum 3. Philip K. Dick
Festival. Zielort der Reise war Fort Morgan, ein Flecken von aus der Ferne
vogelwohnungsartiger Anmutung, ein Eindruck, der sich später bestätigen sollte: Kernland nennt man das in den Vereinigten Staaten.
Die Anreise erfolgte über
Denver, das mit seinem Internationalen Flughafen (Achtung: DEN, nicht DIA)
die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Eine frühe Anreise
liess Zeit für einen Abstecher nach Boulder, wo man sich in der Pearl
Street unter die Studenten mischen und in den umgebenden
Flatirons, Ausläufern der Rocky Mountains, wandern kann
(Achtung: die saisonal auftretenden jungen Klapperschlagen sind
aggressiv!).
Sicher ist sicher |
Am ergiebigsten erwiess sich Fahrenheit's Books in Denver. Der vielversprechende Name dieses Geschäfts war
mehrfach gefallen, durch
die eingeschränkten Öffnungszeiten war aber der Besuch erst am Tag der
Anreise nach Fort Morgan möglich, ein Umweg, der sich schliesslich mehr
als gelohnt hat: Uwe Antons Welcome to Reality
Eine erste Begrüssung in Fort Morgan |
Dann ging es eine Stunde durch die flache Landschaft, mit den Rocky
Mountains im Rücken, nach Fort Morgan. Die Unterbringung war so gewählt,
dass das Stadtzentrum, insbesondere Cable's Bar, zu Fuss erreichbar
sein sollten. Dort traf man dann im Laufe des Abends auch weitere Pilger:
Das Fest hatte begonnen.
Die Vorträge
Die offizielle Eröffnung am folgenden Tag erfolgte durch
Lord Running Clam, das ist David Hyde, dessen umfangreiches Wirken für
Philip K. Dick hier nur kurz erwähnt sei: Langjähriger Fan, Herausgeber von For Dickheads Only, Autor, Organisator voriger Dick-Feste, Mit-Herausgeber bei Wide-Books. Im Anschluss kam Suzanna Spear vom Fort Morgan Community College zu Wort, denn dort fanden die Vorträge
statt – eine sehr schöne Einrichtung, natürlich mit einem
tornado shelter, der glücklicherweise nicht benötigt wurde.
Die erste Präsentation hatte den Titel Germany and Philip K. Dick – Philip K. Dick and Germany. Viele der vorgetragenen Punkte finden sich hier im Blog, ein paar
allgemeine Einführungen über die Situation der Science Fiction in
Deutschland, die die Einordnung erleichtern sollten, wurden hinzugefügt.
Der zweite Vortrag hatte das Thema
Collected Works of Anne R. Dick und wurde von Frank Hollander
gehalten, den ich endlich persönlich kennenlernen durfte. Hollander ist
auch Sammler, allerdings auf einem ganz anderen Niveau, als das dieser
Blog zeigen kann. Ein frühes Manuskript von Annes
Search for Philip K. Dick ist nicht nur ein beeindruckendes
Sammlerstück, sondern ermöglicht durchaus tiefere Einblicke in Dicks
Verhältnis zu Anne und ihrer Familie.
Im grossen Saal geht es weiter mit Blake Wilsons Präsentation
Perturbations in the Reality Fields: Logos, Gnosis, and Aletheia in
Phil Dick’s Late Works. Dieser Vortrag war, wie die meisten der folgenden Beiträge, akademisch
– Wilson arbeitet an der California State University. Allerdings schildert
Wilson persönliche Erfahrungen, seine erste Begegnung mit Dicks Werk und
dessen Einfluss und auch dadurch wir sein Vortrag, sehr lebendig. Wilson
hat auch ein Buch über Werner Herzog herausgegeben, The Philosophy of Werner Herzog, Lexington Books (2020).
Gabriel Mckee illustriert seinen Vortrag mit Helmut Wenskes Umschlagbild für Valis |
Der letzte Vortrag des Tages ist von Ted Hand: Rosicrucian PKD, der
Rosenkreuzerische PKD. Hand ist wohl am bekanntesten für seine
Arbeit an und mit der Exegesis. Und er ist der Mit-Schöpfer des
Philip K. Dick Tarots, das man bei Wide-Books noch bestellen kann …
und was sicher auch in diesem Blog noch einmal auftauchen wird.
Das Abendprogramm fand im Buchladen Books on Main statt. Die
Dick-Festler konnten der Aufnahme einer Ausgabe des
Dickheads Podcast durch die Gastgeber David Agranoff und D.
Harlan Wilson beiwohnen. Gäste waren Jonathan Lethem und Stephan Graham
Jones, ein Dozent an der Universität Boulder, Schriftsteller und Kenner
von Philip K. Dicks Werk. Ansehen kann man sich das noch auf
YouTube.
Einige Teilnehmer fanden dann wieder den Weg zu Cable's Bar ein Stück
die Hauptstrasse hinauf.
Den Samstag eröffnete David Gill, der die Vorträge des Fests organisiert hatte, in
einer sehr launigen Retrospektive seines Online-Kurses zu Philip K. Dick, den er in in der ersten Jahreshälfte angeboten hatte – mit hochkarätigen Teilnehmern. Der Titel war Some Thoughts After a Semester Spend Dicking Around.
Es folgte Josh Lind mit der Präsentation zu Thema Zeit in Dicks Werken:
Time and Its Opposite. Kein einfaches Material, es würde helfen,
das noch einmal lesen zu können.
Andrew M. Butler |
Nach der Mittagspause erzählt der Podcaster des Vorabends, David Agranoff
von seinem bevorstehenden Buch:
Unfinished PKD. Er erzählt von seiner Recherche in Originalmanuskripten in diversen
Archiven, die allein schon neidisch machen muss. Dieses Thema, das bisher
von anderen Autoren nur angerissen ist, macht neugierig: dieses Buch wird
sicher gekauft und hat das Potential zu einem Klassiker der
Sekundärliteratur.
Der zweite Podcaster beschliesst die Vortragsserie: D. Harlan Wilson
präsentiert Auszüge aus seinem kommenden Buch
The Biographies Of Philip K. Dick: Infinite Regressions. Im Inhaltsverzeichnis ist Uwe Antons Welcome to Reality erwähnt,
den Aspekt Meta-SF untersucht Wilson offenbar in seinem Buch. Auch
diesen Vortrag kann man bei YouTube ansehen.
Jonathan Lethem |
Und dann kommt Jonathan Lethem, amerikanischer (Gross-)Autor, der schon
am Vorabend beim Podcast von seiner faszinierenden Reise zu Dick erzählt
hat: Er hatte das Thema Palästina bereits angekündigt und das liess
Schlimmstes befürchten. In seiner Keynote bleibt Lethem dann zu diesem Thema aber abstrakt und streift es nur. Viel wichtiger ist das Buch
Worlds Built to Fall Apart
des französischen Philosophen David Lapoujade. Im französischen Original
L'Altération des mondes von 2021, ist es erst Tage vorher in
englischer Übersetzung erschienen.
Das Ende von Lethems Vortrag wurde von einem aufziehenden Gewitter
begleitet. Das war stimmungsvoll, führte aber dazu, dass der nächste
Programmpunkt (und mein persönlicher Höhepunkt), der Besuch des Grabes von
Philip K. Dick, die Gruppe teilte. Einige liessen sich vom Regen nicht
abhalten, andere warteten ab und kamen erst verspätet … Anschliessend ging
es für einige dann noch ein letztes Mal in Cable's Bar.
Das Grab: Phil und Jane |
Die meisten Teilnehmer waren zum gemeinsamen Frühstück noch anwesend, man
zerstreute sich dann. Da mein Flug erst am Abend ging schloss ich mich den
letzten Unverdrossenen, die sich noch einmal beim Grab sammelten, noch zu
einem Ausflug ins benachbarte Greeley an, wo uns David Gill die Stationen
von Dicks mütterlichen Grosseltern zeigt,
er hat das schon einmal ähnlich aufgeschrieben.
Die Reise war damit noch nicht beendet, Blog-relevante Aktivitäten waren
dann der Besuch diverser Antiquariate in und bei New York City: ein paar
nette Funde, aber keine Sensationen.
Ein letztes Zusammenkommen |
Ein Fazit lässt sich kaum ziehen: Überwältigend, toll … und so wohl
einmalig. Die Kalifornien-Fraktion der Teilnehmer holt das Festival aus der
amerikanischen Prärie zurück an die Westküste: Das Festival in Orange County bei Los Angeles ist für 2026 bereits angekündigt. Auch der folgende Termin zum
hundertstens Todesjahr 2028 in Berkeley ist bereits im Gespräch. Als
Reiseziele sind diese Orte sicher attraktiver und mögen sogar mehr mit Dick
zu tun haben, als der Ort an dem er zu Lebzeiten kaum je war – als sehr
kleines Kind mag er dort seine Grosseltern besucht haben (man lese das in
Sutin oder Rickman nach). Eindrucksvoll ist es aber doch, an seinem Grab zu
stehen, einem Ort, den man von vielen Fotos kennt.
Und allen interessierten Lesern sei angeraten, schon mal das Sparschwein
aufzustellen: Die Flüge sollten früh gebucht sein, das ist schon in weniger
als einem Jahr möglich (wenn es dann schon feste Termine gibt). Und wer
wirklich interessiert ist: Gerne hier melden!
Einige der Vorträge finden sich auf dem
YouTube-Kanal
The Philip K. Dick Festival, einen schönen
behind the scenes Eindruck
findet sich auf dem
PKD Festival
Instagram-Konto. Und viel besser als dieser Blogeintrag ist der vom super-umtriebigen
David Agranoff
in seinem Blog bei Amazing Stories: Lesen! Wenn ich David nicht selbst getroffen hätte, würde ich
vermuten, dass er in Wirklichkeit ein veganes Komitee ist: so viel Aktivität
von einer einzelnen Person ist gar nicht möglich! Und das Ziel ist die
vegane Unterwanderung Amerikas … was vermutlich nichts Schlimmes ist (wenn
man kein Rinderzüchter in Fort Morgan ist). Also auch noch
ein Link auf seinen persönlichen Blog
(mit extra-viel Dick-Inhalt). Und natürlich gibt es vom ihm etwas für den
deutschen Leser:
The Last Night to Kill Nazis,
eine Rezension gibt's hier.
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