Samstag, 18. Mai 2024

Die Apotheose des Philip K. Dick

Gut Ding will Weile haben. Oder am Ende wird alles gut. Und ein Sammler braucht sowieso Geduld … Daher passt es schon, wenn diese Neuentdeckung schon fast vier Jahre auf dem Markt ist – bzw. eigentlich schon wieder vom Markt verschwunden.
Das amerikanische Comic-Magazin Heavy Metal hat in der Nummer 298 aus dem Jahr 2020 die Geschichte Philip K. Dick's Head is Missing veröffentlicht. Wie das deutsche Schwermetall, von dem hier neulich berichtet wurde, hat auch Heavy Metal anfänglich, gegründet 1977, Inhalte des französischen Metal Hurlant übernommen. Nachdem Metal Hurlant 1987 eingestellt wurde, hat man verstärkt andere Inhalte veröffentlicht. Schwermetall hat bis 2000 durchgehalten, Heavy Metal wurde im vorigen Jahr eingestellt.
Schweres Metall
Heavy Metal 298 mit Philip K. Dick's Head is85 Missing
Philip K. Dick's Head is Missing ist eine Geschichte von Michael David Nelsen, der sie gemeinsam mit Dwayne Harris gezeichnet hat. Auf 17 farbigen Seiten beschreibt sie die Apotheose des Philip K. Dick in drei wechselnden Zeitebenen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zentrales Element ist der „verlorene Kopf des Philip K. Dick“, Nelsen bezieht sich hier auf David F. Duffys Buch Losing the Head of Philip K. Dick. Duffy erzählt darin die wahre Geschichte einer Gruppe Wissenschaftlern, die 2005 einen Androiden mit der Anmutung von Philip K. Dick bauen, der auch eine Gespräch in der Rolle des Autoren führen kann. Dicks Tochter Isa hatte ihm dabei eine beängstigende Fähigkeit bescheinigt. Der lebensechte Kopf des Androiden geht später titelgebend auf einem Flug verloren.
 David Duffys How to Build an Android mit
Philip K. Dicks Kopf auf dem Cover
Nelsen verbindet diese Geschichte mit Dicks pink beam und den Fischanhänger, Gnosis, VALIS, mit Teilen aus der Exegesis und Berichten seiner Freunde, seinem Tod und spinnt sie weiter in die ferne Zukunft: Ein wilder Ritt, absolut einem Philip K. Dick würdig, der selbst seine Ideen immer wieder neu gemischt und aufbereitet hat, um einen neuen Aspekt zu beleuchten: der Abschluss der Geschichte, die buchstäbliche Vergöttlichung des Kopfes ist grandios und ein schlüssigerer Ende als Dick ihn selbst oft hingekriegt hat.
Die Botin der Apotheke sieht vermutlich nur zufällig wie (ich finde und wie) eine bekannte Tennisspielerin aus, die Köpfe im Glass sicher nicht zufällig wie die in einer populären animierten Science Fiction Serie (und ich weiss nicht, ob mir das gefällt), die Idee eines Horselover cults dagegen ist gut, aber nicht grundsätzlich neu und die graphische Gestaltung ist zumindest gefällig, aber die Kritik von Comics ist diesem Blog nicht möglich.
Ein wenig unklar ist die Rolle der Figur Robert Farraday, der uns als friend and confidant vorgestellt wird. Vermutlich ist er ein Amalgam verschiedener (männlicher) Freunde Dicks, die in der Zeit zwischen dem pink beam von 2–3–74 und Dicks (physischen) Tod Kontakt mit ihm hatten und später darüber berichtet haben. Zuerst kommt (mir) da Tim Powers in den Sinn, vielleicht auch K. W. Jeter, es gibt weitere. Optisch erkenne ich Ähnlichkeiten zu beiden, aber – siehe oben – da fühlt sich dieser Blog nicht berufen zu urteilen.
Man darf dem Comic aber eine mehr als oberflächliche Beschäftigung mit Philip K. Dicks Leben bescheinigen und der Leser kriegt wirklich eine schöne Geschichte erzählt. Tatsächlich entgeht dem Leser ohne gewisses Verständnis von Dick wohl eine Menge bei diesem Comic … das interessiert uns in diesem Blog nicht.
Unbedingt erinnert sei hier noch mal an The Religious Experience of Philip K. Dick von Robert Crumb. Er beschäftigt sich exklusiv mit Dicks pink beam Vision, ein Blick auf seine Darstellung der Geschehnisse (und wer sucht, der findet sie vielerorten im Netz) ist eine schöne Ergänzung zu diesem Comic. Über die letzte Veröffentlichung von Crumbs Comic gibt es einen Blogeintrag.
  • Varianten: Cover B (links) und Cover C
    Cover A:Taarna von Esau Escorza und Carlos Villasauch 
    • zusätzlich in der Variante “Limited Run – Metallic Foil Cover”
  • Cover B: Recalculating von Gabriel Ippoliti
  • Cover C von Phil Cohen
Für den Sammler von Comics wird in seiner Welt gut gesorgt. Und als Sammler, der minimale Varianten bei Taschenbüchern in der Farbe des Logos auf dem Buchrücken findet und teuren Sammlerausgaben begegnet, kann man die Verlagspraxis der Comicverlage nicht kritisieren: der Sammler weiss, was er kriegt. Nun ja.
Man kann in diesem Blog anmerken, dass es bemerkenswert viele Comics gibt, die das Leben von Philip K. Dick aufgreifen – und natürlich noch mehr, die sein Werk adaptieren.
Was braucht man davon in seiner Sammlung? Eigentlich ist dieser Comic mehr Philip K. Dick als Duffys Buch, er nimmt Themen aus Dicks Leben und Werk auf. Der Comic ist aber sicher keine Adaption und daher kein notwendiger Teil der Sammlung.
Finden kann man Heavy Metal #298, leider meist hinter der Portomauer.
Es gibt mehr vom Illustrator Dwayne Harris auf seiner Webseite.
Eine umfassende Liste von Comics nach und über Dick mit bibliographischen Daten findet sich auf der Seite zu Comics hier im Blog.

PS: Ein Hinweis auf diesen Comic findet sich in PKD Otaku #43 auf Seite 23:

A recent issue of Heavy Metal – they don’t date them anymore but this is number 298 – has a 16-page story called “Philip K. Dick’s Head Is Missing” by Michael David Nelsen & Dwayne Harris. It’s very strange.

Seinerzeit habe ich das glatt übersehen, aber jede neue Ausgabe von PKD Otaku bringt so viel Neues, dem man nachstöbern möchte, dass auch mal was verloren geht. 

Eine kleine Bibliographie

David F. Duffys Buch ist unter verschiedenen Titeln und in mehreren Ausgaben erschienen:
  • Lost In Transit: The Strange Story of the Philip K Dick Android. Melbourne University Press (2011). ISBN 978-0-52286062-7, Paperback ISFDB
  • How to Build an Android: The True Story of Philip K. Dick's Robotic Resurrection. Henry Holt and Co. (2012)*, ISBN 978-0-80509551-7, Hardcover. 288 Seiten – siehe oben
  • How to Build an Android: The True Story of Philip K. Dick's Robotic Resurrection. Picador (2013) ISBN 978-1-25003215-7 Softcover. 288 Seiten
  • Losing the Head of Philip K. Dick. Oneworld Publications (2012), ISBN 978-1-85168922-4, 272 Seiten – und natürlich gibt's das auch als Hörbuch von Blackstone auf sechs Audio-CDs
Die australische Erstausgabe ist recht schwer zu finden.

Preise

"Heavy Metal #298" (2020). Gebraucht in sehr guter Erhaltung 520 Euro, gelegentlich auch diesseits der Portomauer

Samstag, 4. Mai 2024

Infiltration

»Was macht man so als Sammler?« – eine Frage, die sich praktisch niemand stellt, die dieser Blog aber immer wieder zu beantworten versucht. Sammeln ist ja erst am Schluss der Erwerb – und dieser letzte Schritt ist oft der langweiligste, auch wenn das Eintreffen lange gesuchter Exemplare grosse Freude bringt. Aber im Zeitalter digitaler Antiquariate kriegt man fast immer fast alles, begrenzt nur durch das eigene Budget, spannend ist da nur die Suche nach dem guten Angebot. Viel interessanter aber ist oft die Jagd nach ganz neuen Einträgen für den Katalog …
Schwermetall #71, Alpha Comics (1985)
In dem sozialen Medium für alte Mensch, auf dem dieser Tage der meiste Austausch zu Philip K. Dick stattzufinden scheint, wurde in einem abgelegenen Winkel neulich ein Heftchen von 16 Seiten im DIN A5 Format vorgestellt, mit dem Titel Le Retour des explorateurs. Es handelt sich um Philip K. Dicks Kurzgeschichte Explorers we von 1959 in der französischen Übersetzung von Pierre Billon. Ein ungewöhnliches Format und die Behauptung, dass das Heft für das 2eme Festival International de la SF de Metz im September (19.–25.) 1977 gefertigt sei, erregt Neugier: Dick war ja selbst in Metz! Ist diese Ausgabe wirklich wegen seinem Besuch erschienen?