Am Rand der Sammlung bewegt sich auch dieser Blogeintrag.
Immerhin geht es um einen deutschen Beitrag – oder eigentlich sogar zwei –
aber nichts von Philip K. Dick und eigentlich auch nichts über ihn … nur ein
wenig mit ihm: Der Science Fiction Roman Kind des Glücks öffnet mit
der Widmung Für Philip K. Dick. Geschrieben hat ihn Dicks Freund
Norman Spinrad, veröffentlicht wurde er im Jahr 1985 bei Bantam. Die Widmung ist gefolgt von einem Vers:
Für Philip K. Dick
Manche stehen auf den Schultern von Gigantenmanche lugen einem Freund durchs Herzmanche Leben sind Geschichtenderen Geist und Atem nie vergeht
Diese weiteren Zeilen deuten die grosse Verbundenheit an, die Spinrad für Dick empfunden haben muss.
Die deutsche Übersetzung ist von Jürgen Langonski mit dem Titel
Kind des Glücks, erschienen 1988 bei Bastei Lübbe. Bemerkenswert an
dieser broschierten Erstausgabe ist der Preis von 24,80 DM. 493 Seiten haben
ihren Preis, das Buch ist grösser als Standardtaschenbücher, aber der Preis
erscheint doch sehr hoch. Die typischen Heyne Taschenbücher kosteten
seinerzeit um 8 DM. Die zweite Ausgabe von 1991 kostete dann auch nur noch
die Hälfte, 12,80 DM.
Norman Spinrad: Kind des Glücks, Batstei Lübbe |
Beide Ausgaben enthalten die Widmung, die bei anderen Büchern
bei der Übersetzung frustrierenderweise auch mal verloren geht, man darf sie also der Sammlung zuführen.
Seine Beziehung zu Dick beschreibt Spinrad im Nachwort zur deutschen
Ausgabe von Simulacra, Heyne (2005). Dieses Nachwort ist scheinbar
von Spinrad für diese Ausgabe geschrieben, der Text ist sonst wohl
nirgendwo erschienen. Inhaltlich ergänzt es Äusserungen von Dick und
Spinrad zu ihrer Freundschaft. Spinrad arbeitete am Anfang seiner Karriere
zeitweise bei Dicks Agenten, der Scott Meredith Literary Agency und
war schon damals Fan von Dick, traf ihn dort aber nicht persönlich. Erst
bei Dicks schwerer persönlicher Krise 1971 rief dieser Spinrad an und es
entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. In den
Selected Letters 1972–73 finden sich zwei Briefe: der erste
vom 18.2.73 kommentiert und lobt Spinrads aktuellen Roman,
Der stählerne Traum und bezieht ihn direkt auf
Das Orakel vom Berge. Interessant sind in diesem Brief auch Dicks
Äusserungen zu Deutschland – er „traut“ den deutschen Verlegern
nicht, befürchtet, dass seine politischen Äusserungen in Deutschland
herausgenommen oder verändert werden. Für die Erstausgabe vom Orakel vom Berge
in Deutschland beim König Verlag lässst er sich daher die Druckfahnen
schicken. Ob Dicks zweifellos vorhandene Deutschkenntnisse für solche
Kontrollarbeit gut genug waren oder ob Dick hier nicht (auch) ein wenig
für sein Publikum gespielt hat, kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall
ein relevanter Beitrag zum Thema Dick und Deutschland. Ein weiterer Brief
findet sich in den Letters, vom 5.3.73, hier geht es um ein
Interview mit der BBC.
Spinrads Nachwort beschäftigt sich natürlich auch mit Dicks Roman. Spinrad
ist ein politischer Schriftsteller und greift daher die politischen
Aspekte des Romans besonders auf:
Etliche Jahre vor der Präsidentschaft Ronald Reagans und der politischen Karriere Arnold Schwarzeneggers beschreibt Dick einen Präsidenten, der in Wahrheit ein Simulacrum ist, eine First Lady, die von einer Gruppe von Schauspielerinnen gedoubelt wird, und eine Fernsehserie, die das Weiße Haus zur Showbühne macht. Wir sehen alles – und doch sehen wir nichts.
Dieser Text ist von 2005, Spinrads Meinung zu aktuelleren politischen
Ereignissen (und Präsidenten) lässt sich gut im Titel eines von ihm
geschriebenen Liedes zusammenfassen: Donald Trump, Agent of Satan,
hier von ihm gesungen zu hören auf YouTube.
Weiterhin gibt es von Spinrad einige Vor- und Nachworte zu Büchern von
Dick, Dr. Bloodmoney bei Gregg Press und Band 2 der Collected Short Stories
sowie diverse Essays.
Eine deutsche Übersetzung hat nur Spinrads sehr persönliches Essay über
Dicks Werk, The Transmogrification of Philip K. Dick, geschafft,
ursprünglich erschienen in
Science Fiction and the Real World (1990), seiner sehr lesenswerten
literarischen Kritik am gesamten Genre. Auf Deutsch ist die beim
mittlerweile untergegangenen (und wohl unter neuem Namen auferstandenem)
Verlag Shayol in der 4. Ausgabe des Magazins Pandora (2009) unter
dem Titel Die Verwandlung des Philip K. Dick; das Heft enthält zwei
weitere Artikel über Dick, gehört also in jede Sammlung. Dicks
„metaphysischen“ Werke, wie Valis und die Exegese, kommen
bei Spinrad nicht so gut weg – eine Einstellung, die man teilen kann, die
aber der Person Dick nicht gerecht wird.
1983 ist Spinrad Preisrichter der ersten Vergabe der – in diesem Blogs
(bisher) weitgehend ignorierten – Philip K. Dick Awards,
gemeinsam mit Ursula K. LeGuin und dem Organisator Thomas M. Disch. 2012 ist
er einer der Hauptredner bei der Philip K. Dick Konferenz in Dortmund. Auch
wenn es nicht sehr viel von Spinrad zu Dick gibt, so kann man doch die tiefe
Verbindung von ihm zu Dick sehen.
Norman Spinrads grösster „Aufmerksamkeitserfolg“ in Deutschland, hier die dritte Auflage von 1985 mit der entschärften Version des Umschlagbilds von Rowena Morrill |
Erst 1987 kämpft Heyne das Buch beim Bundesverwaltungsgericht
endgültig frei. Übrigens schreibt auch Dietmar Dath, der Philip K. Dick bekanntlich sehr schätzt, zu
Spinrad: Dort findet man über Das Kind des Glücks: „Sein
Weltraum-Unterwäsche-Simplizissimus-Pastiche 'Kind des Glücks' ist
kaum vorsichtiger durchferkelt“. Das sollte Leseempfehlung
genug sein.
Fragen mag man sich nur, warum Spinrad ausgerechnet
Das Kind des Glücks seinem Freund gewidmet hat, bei dem ich
keinen inhaltlichen Zusammenhang zu Dick sehen kann. Aber natürlich
liegt das gänzlich beim Autor und die Zeit dafür war für Spinrad
offenbar gekommen. Besser gepasst hätte die Widmung aber zum
stählernen Traum, aber natürlich war das lange vorher.
Die Frage, ob man dieses Buch, möglicherweise wie hier gezeigt sogar
in unterschiedlichen Ausgaben, in der Sammlung braucht, beantwortet
sich wie immer: Das ist die Entscheidung des Sammlers, aber es gibt
wenig genug deutsche Stücke und die Lagerkosten sind höher als die
Anschaffungskosten, denn beide deutsche Ausgaben (wie auch die
englischen) sind billig und einfach zu finden. Kanonisch ist es für
die Kernsammlung zu Philip K. Dick nicht, so sei es hier entschieden.
Übrigens findet sich auch Der stählerne Traum in der
Erstausgabe von 1981 einfach und bezahlbar, die Indizierung hat den
antiquarischen Wert nicht erheblich erhöht, es gibt hier aber offenbar
diverse Varianten und Auflagen: Eine spätere (4.?) Auflage protzt auf
der Rückseite mit dem Text „Nach 5 Jahren wieder frei! Bundesverwaltungsgericht: Spinrads
Hitler-Satire zu Unrecht indiziert!“. Insgesamt ist das Werk von Norman Spinrad ein lohnendes, aber im
Deutschen mit zwei Dutzend veröffentlichten Romanen durchaus
überschaubares Sammelgebiet und sei dem interessierten Leser dieses
Blogs hier angedient.
Das Kind des Glücks und andere Bücher mit Widmung an Philip K.
Dick finden sich auf der Seite der
Kuriosa hier im Blog, ebenso gibt es
einen Artikel über die deutschen Widmungen von Philip K.
Dick.
Preise
Norman Spinrad: "Kind des Glücks", Bastei Lübbe. 1988/1991, beide
Ausgaben ab 3 Euro überall wo es Antiquarisches gibt
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