Samstag, 24. Juli 2021

Roboterethik und Philip K. Dick

Mal was anderes. Eine Veranstaltung zu Philip K. Dick – oder zumindest mit „Philip K. Dick“ im Titel – will man sich dann doch nicht entgehen lassen, zumal CO2-freundlich erreichbar. Und natürlich, weil hier die Hochkultur tagt. Ist der titelgebende Autor hier eine Fahne, unter der man segelt? Das würde wenigstens dafür sprechen würde, das „Dick“ jetzt ein Marke ist, die hier zieht (aber das wussten wir schon vorher). Oder wird wirklich über den Mann gesprochen – oder zumindest seine Literatur oder doch wenigstens über seine Ideen? Streng literarische Kompetenz war nicht zu entdecken – dafür würde ich mir doch mal den Science Fiction-affinen Denis Scheck wünschen (und schliesslich arbeitet der doch in Scobels Partnersender).
Die Veranstaltung hiess Roboter-Ethik: Manfred Zapatka liest Philip K. Dick. Janina Loh und Gert Scobel diskutieren. Und so war es auch.
Auf der Bühne ... Janina Loh, Gerd Scobel, Manfred Zapatka
Janina Loh, Gert Scobel, Manfred Zapatka (von links)
Dieser Philip K. Dick-Abend begann pünktlich im Morgengrauen. Das 15. Mannheimer Literaturfest LESEN.HÖREN hatte sich, aus wohl bekannten Gründen, vom Februar in den Juli verschoben und so war auch aus dem Abend ein Morgen geworden. 
Nach kurzer Vorstellung durch den Veranstalter betraten die drei Protagonisten die Bühne, Scobel mit ungewohnten Bart. Nach wenigstens einer halben Gedenkminute des Schweigens für die Opfer der Flutkatastrophe, hat Scobel zu Zapatka übergeleitet. Der findet Dick, den er vorher nicht kannte, nach dieser Lektüre nun interessant; das ist keine Begeisterung, aber immerhin interessant. Zapatka liest dann aus einem Essay von Dick, Wie man eine Welt erbaut, die nicht nach zwei Tagen wieder auseinanderfällt, im Original How to Build a Universe That Doesn't Fall Apart Two Days Later.
Die anschliessende Diskussion zwischen Loh und Scobel nimmt keinen direkten Bezug auf den Text, er klingt aber im Hintergrund nach. Es geht um schwache und starke künstliche Intelligenz – die starke ist noch weit weg, wenn es sie überhaupt einmal geben kann – und um Roboter und Algorithmen. Das sind Themen und Beispiele aus Lohs namensgebenden Buch Roboterethik. Der Zuhörer ohne Kenntnisse in der Philosophie und der künstlichen Intelligenz wird streckenweise wohl nicht folgen können, aber man wusste ja, worauf man sich einlässt. Frau (darf man das sagen?) Loh ist buchstäblich bühnenreif und macht das staubige Thema überhaupt erst geniessbar. Herr Scobel ist ein geübter Moderator (darf man das sagen?). Und Manfred Zapatka liest fabelhaft (das muss man sagen!).
Gegen Ende der Veranstaltung kommt Zapatka mit einem zweiten Text zu Wort, einer gekürzten Version der Kurzgeschichte Mr. Raumschiff. In seinem vorletzten Satz verwendet Scobel das Wort optimaler. Auch die Grossen machen Fehler.
Unerwähnt bleiben in diesem Blogeintrag Boston Dynamic, Roger Wilhelmsen und Marc Bauders Film „Wer wir waren“. Hanc marginis exiguitas non caperet.
Für den Dick-Fan: Es ging natürlich nicht um Dick. Aber Manfred Zapatka Dick lesen zu hören, war die Veranstaltung allemal wert. Ich hätte nicht gedacht, dass man Dick tatsächlich so eindrucksvoll vorlesen kann. Dick ist kein Meister des Wortes, er hat eine eher einfache Sprache – das macht übrigens das Lesen im Original einfach, auch für den deutschen Leser. Trotzdem hat Zapatka die beiden Texte zum Klingen gebracht. Auch Lesen will gelernt sein – und ist vielleicht auch ein Talent. (Mein Erstaunen mag auch darin begründet sein, dass ich mich bisher Hörbüchern total verweigert habe, vielleicht hätte ich eine ähnliche Erfahrung schon vorher machen können.)
"Der phantastische Rabe", Nummer 59 und "Roboterethik"
Das Buch Roboterethik von Janina Loh, dem die Diskussion
von Loh und Scobel in grossen Teilen gefolgt ist
Dicks Essay Wie man eine Welt erbaut, die nicht nach zwei Tagen wieder auseinanderfällt ist auf Deutsch in Der phantastische Rabe, Nummer 59 bei Haffmans (2000) erschienen und dann noch einmal im dem die Sämtlichen Geschichten begleitenden Philip K. Dick Companion, Zweitausendeins (2008). Im Original ist das Essay in der posthum erschienen Kurzgeschichtensammlung I Hope I Shall Arrive Soon erstmals 1985 erschienen. Dick hatte es als Rede geschrieben, diese aber niemals gehalten; man darf annehmen, dass Paul Williams es in Dicks Nachlass gefunden und dann in der von ihm mitherausgegebenen Anthologie veröffentlicht hat.
Für die Sammlung gab es immerhin eine fast richtige Eintrittskarte, immerhin nicht selbstgedruckt. Und Roboterethik von Jania Loh, erschienen bei Suhrkamp (2019), konnte ich vor Ort von der das Festival begleitenden Traditionsbuchandlung Bücher Bender erwerben.
Zum Thema Sammeln von Eintrittskarten gibt es eine schöne Sammlung Konzertkarten für Bob Dylan online.

Preise

Janina Loh: Roboterethik. Suhrkamp (2019), 241 Seiten. ISBN 978-3-518-29877-0. 18 Euro.

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