Schon im Februar 2021 ist der Comic
Nuclear Family erschienen – und diesem Blog komplett entgangen. Die
Ursache dafür liegt zum einen beim Verlag, der (zu) wenig Werbung
damit gemacht hat, dass sein Comic auf einer Kurzgeschichte von Philip K.
Dick basiert. Zum anderen sind all die anderen Verlage ein Problem, die
viel zu viel Werbung mit Philip K. Dick machen, um Aufmerksamkeit für
ihre Bücher zu erhalten, obwohl ihre Bücher mit Dick nichts zu tun hat: „in
the tradition of classic science fiction from […] Philip K. Dick“ und
ähnliches liest man da oft. Und dann sind da noch all die Gewinner eines Philip K. Dick Awards, die beim Stichwort Philip K. Dick auftauchen.
Bei der regelmässigen Suche lernt man also einiges auszublenden. Diesem
Filter ist auch Nuclear Family lange zum Opfer gefallen.
Und dieser Comic ist nun ein echter Beitrag des Autoren: Der Inhalt beruht
auf seiner Kurzgeschichte Breakfast at Twilight. Natürlich ist
sie dem neuen Medium angepasst: Die Autorin ist Stephanie Phillips. Sie ist
für ihre Mitarbeit an der Harley Quinn Serie bei DC Comics recht
bekannt; diese Reihe ist auch ins Deutsche übersetzt. Der Zeichner ist Tony
Shasteen.
Die Kritiken zu diesem Comic im Netz sind durchaus positiv. Allerdings
scheint niemand die Originalgeschichte von Dick gelesen zu haben, das
interessiert wohl nicht, leider. Inhaltlich gibt es ein paar kleinere
Stolperer: So lesen wir im ersten Band „Milwaukee. 1957“, der Vater spricht
aber im zweiten Band vom Jahr 1958. In Dicks Original reist die Familie von
1973 nach 1980, also in der Zukunft der damaligen Leser. Aber wenn dieser
Comic schon in unserer Vergangenheit spielen muss, dann sind die 50er Jahre
ein besserer Startpunkt: Die 50er Jahre sind in einem Comic schöner anzuschauen und das Thema
Atomkriegsangst ist mit dieser Zeit eher verbunden als mit den 70ern, zumindest in den USA.
Eine weitere kleine Abweichung ist, dass die Familie in Dicks Geschichte McLean heisst, im Comic aber McClean. Vielleicht will uns die Autorin
Phillips hier noch mal die Rolle dieser Familie explizit vor Augen führen:
eine „saubere“ Vorzeigefamilie aus der Vorstadt. Entsprechend ist auch der
Titel der Geschichte geändert, das Motiv der Familie wird in den Mittelpunkt
gestellt. Aber auch schon bei Dick sagt Mutter Mary über ihre Familie: „We can't be broken up. Separated.“ Dem Comic ist trotzdem das dritte Kind abhandengekommen – man kann es
verschmerzen.
Ersterscheinung von Frühstück im Dämmerlicht bei Luchterhand (1986) |
Auf dem Sammelband liest man Volume 1, der Verlag hat sich die Tür für eine Fortsetzung offen gelassen. Nach zweieinhalb Jahren ohne Ankündigung einer Fortsetzung sollte man aber wohl nichts mehr erwarten. Dicks Geschichte ist auch vollständig umgesetzt und so richtig zwingend wäre eine Fortsetzung nicht.
Den Originaltitel Breakfast at Twilight zu ändern, war sicher nicht falsch
(hat aber auch nicht dabei geholfen, auf dieses Buch aufmerksam zu werden).
Beim neuen Titel handelt es sich um ein Wortspiel:
Nuclear Family ist die (traditionelle) Kernfamilie: Vater,
Mutter und (in diesem Fall: zwei) Kinder – und es geht in dieser Geschichte
sehr um die Familie. Aber natürlich geht es auch um eine Familie, die von
den Auswirkungen des nuklearen Krieges betroffen ist. Ausserdem bringt der
Titel die Dramatik der Geschichte mehr zum Ausdruck als ein
Frühstück.
Rechtliches
Dicks Breakfast at Twilight ist in den USA mutmasslich in der Public
Domain, die Meinung wird zumindest
hier vertreten. Allerdings gehört sie nicht zu den 1954 und 1955
publizierten Geschichten, deren Schutzrechteverlängerung mutmasslich durch
die Wirren um Dicks Tod versäumt wurden. Sie ist aber in zahlreichen Public
Domain Ausgaben zu finden, viele sind hier gesammelt. Der Verlag hat also vermutlich keine Rechte erwerben müssen, mag aber
dafür eingeschränkt (oder vorsichtig) bei der Verwendung des Autorennamen
sein.
Historisches
(Die einzige) Originalillustration, aus Amazing: ein gemütlicher Frühstückstisch bei den McLeans |
It’s distinctly ungood to wake up in the middle of a war. Anybody knows that. But what bothered the McLeans most was the fact that the war they were in wouldn’t begin for another hundred years!
Nun ja, es sind bloss sieben Jahre, keine hundert: genau
darum geht es ja. Man fragt sich, wohin Familie McLean zurück will? Ihre
Vergangenheit wird in sieben Jahren die Gegenwart sein, d. h. eine sehr
risikoreiche Rückreise bringt kein lange glückliches Leben, sondern nur
einen Aufschub von wenigen Jahren. Am Schluss, als sie wieder zurück sind,
heisst es dann auch „when the five years were up, there’d be no escape“.
Tim McLean ist klar, er hat das alles nur gemacht, um das Unausweichliche
fünf Jahre aufzuschieben.
Ganz offensichtlich kritisiert Dick hier zu Zeiten des Koreakrieges die
politische Lage: der Dritte Weltkrieg hat in seiner Geschichte nicht
irgendwann angefangen, er war schon die ganze Zeit da und ist nur immer
weiter gewachsen. Ein ähnliches Gefühl mag mancher in den USA mit Blick
auf Korea gehabt haben. Und Tim McLeans Aussage zu seiner Heizung kann und
sollte man wohl als politischen Appell lesen: „I should have had it looked
at. Before it was too late.“ Und daher gibt es wohl auch nur ein halbes
Happy End.
Rückblickend betont Dick aber ein anderes Motiv (in Levack: PKD: A Philip K. Dick Bibliography, Seite 84):
There you are in your home, and the soldiers smash down the door and tell you you're in the middle of World War III. Something's gone wrong with time. I like to fiddle with the idea of basic categories of reality, such as space and time, breaking down. It's my love of chaos, I suppose.
Es geht also auch hier schon irgendwie um das Spiel mit der Realität. Aus aktuellem Anlass sei noch eine weitere Passage zitiert:
Douglas halted at the front door. “Last night was the worst rom attack so far. They hit this whole area.”
“Rom?”
“Robot operated missiles. The Soviets are systematically destroying continental America, mile by mile. Roms are cheap. They make them by the million and fire them off. The whole process is automatic. Robot factories turn them out and fire them at us.”
Bemerkenswert ist der Gedanke, dass die Roms, die Drohnen, billig
sein müssen, eine Überlegung die dieser Tage mit Blick auf einen
Abnutzungskrieg wieder sehr aktuell wird.
Auf Deutsch ist Breakfast at Twilight zuerst 1986 bei Luchterhand als Frühstück im Dämmerlicht erschienen, übersetzt von Michael Nagula, später in der Gesamtausgabe als Frühstück im Zwielicht neu übersetzt von Bela Wohl.
Auf Deutsch ist Breakfast at Twilight zuerst 1986 bei Luchterhand als Frühstück im Dämmerlicht erschienen, übersetzt von Michael Nagula, später in der Gesamtausgabe als Frühstück im Zwielicht neu übersetzt von Bela Wohl.
Man kann sich gut eine Verfilmung vorstellen, sowohl von der
Kurzgeschichte als auch vom Comic. Die Rechte, zumindest an der
Kurzgeschichte, wären ja günstig zu bekommen.
Alles über Comics von und mit Philip K. Dick und Nuclear Family bei Aftershock Comics.
Alles über Comics von und mit Philip K. Dick und Nuclear Family bei Aftershock Comics.
Preise
Stephanie Phillips: "Nuclear Family" um 18 Euro bei den üblichen deutschen Internetportalen
Hallo,
AntwortenLöschendie aktuelle Ausgabe (Nr. 10) der französischen Comic-Anthologie Métal Hurlant enthält als letzten Beitrag ebenfalls eine Adaptation von Breakfast at Twilight.
Die offizielle Website ist nicht wirklich up-to-date, deswegen hier der Goodreads-Link:
https://www.goodreads.com/book/show/198639719-m-tal-hurlant-n-10
Viele Grüße und vielen Dank für den schönen Blog.
Seb.
Herzlichen Dank! Sehr interessant. Das gucke ich mir an.
LöschenDemnächst (wohl im Mai) folgen noch zwei weitere Blogeinträge zu Comic von/mit/über Dick, auch aus dem Schwermetall-Universum und auch aus Frankreich. Bei Comics tut sich gerade recht viel um Dick herum. (Es hilft wohl auch, dass viele der frühen Kurzgeschichten in die Public Domain gefallen sind und so frei verwendet werden können ... oder so.)