Samstag, 2. September 2023

Barbie, das Ewig-Weibliche

Was soll's?
Alle sprechen über Barbie. Also tun wir's auch: Und natürlich gibt es im Werk von Philip K. Dick auch einen Bezug zu Barbie  und es gibt auch (mehr als) einen deutschen Bezug. Also auf zur kulturellen Achterbahn.
1832 wird, kurz nach dem Tod des Autoren, das Stück Faust. Der Tragödie zweiter Teil. veröffentlicht. Es endet mit den vielzitierten Worten
Das Unbeschreibliche
Hier ist es gethan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
1952 erfindet Reinhard Beuthien die Comic-Figur Bild-Lilli für die deutsche Bild-Zeitung. Ab 1955 wird die Bild-Lilli Puppe – recht teuer! – an (zuerst) Erwachsene verkauft; zusätzlich wird diverses Zubehör angeboten. Sehr schnell gibt es billige chinesische Kopien.
1956 entdeckt Ruth Handler die Puppe in der Schweiz für den Spielzeughersteller Mattel, der sie 1959 auf den US-Markt bringt. Der Comic in der Bild endet 1961, die Bild-Lilli Puppe 1964, als Mattel die Vermarktungsrechte kauft. Benannt ist Barbie, die eigentlich Barbara Millicent Roberts heisst, nach der Tochter von Handler; Barbies Freund, Kenneth „Ken“ Sean Carson ist nach ihrem Sohn benannt - ein ungesunder Start für die beiden, die Folgen sind bekannt.
Ebenfalls 1959 heiratet Dick seine dritte Frau Anne, die bereits drei Töchter hat. Im folgenden Jahr wird Dicks erstes Kind geboren, Laura. 1964 reicht Dick seine Scheidung von Anne ein.
Im April 1963 schickt Dick die Kurzgeschichte The Days of Perky Pat an seinen Agenten. Sie ist offensichtlich von der Wirkung von Barbie auf Dicks Familie geprägt. Später schreibt er dazu:
“The Days Of Perky Pat” came to me in one lightning-swift flash when I saw my children playing with Barbie dolls. Obviously these anatomically super-developed dolls were not intended for the use of children, or, more accurately, should not have been. Barbie and Ken consisted of two adults in miniature. The idea was that the purchase of countless new clothes for these dolls was necessary if Barbie and Ken were to live in the style to which they were accustomed. I had visions of Barbie coming into my bedroom at night and saying, “I need a mink coat.” Or, even worse, “Hey, big fellow ... want to take a drive to Vegas in my Jaguar XKE?” I was afraid my wife would find me and Barbie together and my wife would shoot me.
Die children sind offenbar die Töchter seiner Frau, Laura war noch zu jung für Barbie. Es scheint, als kommen hier einige Ängste für Dick zusammen: seine (begründete) Angst, die Familie nicht versorgen zu können, darüber hinaus eine allgemeine Konsumkritik – und Ängste um seine Ehe. Er macht daraus, wie so oft, einen Text, rund 30 Seiten lang. Das Thema lässt ihn nicht ruhen und schon im folgenden Jahr ist daraus ein Roman geworden, einer seiner besten: The Three Stigmata of Palmer Eldritch.
Kurzgeschichte und Roman unterscheiden sich aber deutlich genug, als dass diese Geschichte weiter separat publiziert wird, einige anderen Geschichten, die Dick zu Romanen ausgearbeitet hat, sind später nie wieder separat publiziert, so Time Pawn, das zu Dr. Futurity geworden ist.
Der Bezug auf Barbie war bei der Erstveröffentlichung schon offensichtlich, schon die zeitgenössischen Kritiken (...) beziehen sich darauf.
Die Notes hat Dick wohl für die Anthologie Science Fiction Origins, Fawcett Popular Library (1980), geschrieben, ein längerer Text, in dem er auch Die drei Stigmata des Palmer Eldritch eingeht. Etwas später heisst es:
Now, you see, Perky Pat is the eternally beckoning fair one, das ewige Weiblichkeit [sic!] – “the eternally feminine,” as Goethe put it.
Perky Pats anatomically super-developed Attribute machen Dick zu schaffen, stimulieren ihn aber und Dick schafft mit dem Bogen zu Goethe den Weg zurück zum Ausgangspunkt der Achterbahnfahrt.

Zugabe

Ganz fertig sind wir mit Barbie aber nicht. In The Best of Philip K. Dick, Del Rey (1977) schreibt Dick auch einen kurzen Absatz zu The Days of Perky Pat:
It was the Barbie-Doll craze which induced this story, needless to say. Barbie always seemed unnecessarily real to me. Years later I had a girl friend whose ambition was to be a Barbie-doll. I hope she made it.
Das hat einen gewissen Anklang zu einer kurzen Szene in In Flow My Tears, the Policeman Said (1974), hier wird eine Frau mit Barbie verglichen:
“Remember Constance Ellar?”
“Yes,” Heather said. "That nonentity starlet that looked like a Barbie Doll except that her head was too small and her body looked as if someone had inflated her with a CO2 cartridge, overinflated her.” Her lip curled. “She was utterly damn dumb.”
“Right,” he agreed. “Utterly damn dumb. That’s the exact word. Remember what we did to her on my show? Her first planetwide exposure, because I had to take her in a tie-in deal. Do you remember that, what we did, you and I?”
Silence.
Das entwickelt sich zu einer amüsanten (und durchaus anzüglichen) Geschichte, es lohnt sich unbedingt das im 5. Kapitel nachzulesen. Man kann sich auch überlegen, wie das Barbie-Girl Constance hier von Heather beschrieben wird: "someone had inflated her with a CO2 cartridge, overinflated her." Man darf annehmen, dass bestimmte Körperteile besonders aufgeblasen waren. Die Wahrnehmung von Barbie ist in jedem Fall nicht positiv, für Dick ist sie die Verkörperung der „dummen Blondine“.
Und zum Schluss kommen wir zu einem wenig bekannten, weil wenig publizierten Stück von Dick: Goodbye, Vincent. In dieser surrealen Geschichte treffen wir auf die Linda-Puppe und einen ihrer erwachsenen „Anhänger“. Linda, bzw. die mystische Vorlage der Puppe, ist offenbar ein tiefsinniges Wesen und damit ganz und gar das Gegenteil von Barbie, die sie verdrängen soll.
Der Hintergrund der Geschichte ist Dicks Beziehung mit Linda Levy, von der man in Der Rabe, Band 44, versteckt auf Seite 204 in den Nach- und Hinweisen ein wenig nachlesen kann. Der Band enthält natürlich auch die Übersetzung von Goodbye, Vincent. Ob Linda der girl friend whose ambition was to be a Barbie-doll war? Wohl eher nicht, denn diese Linda ist ja das Gegenteil. Über Linda Levy und Philip K. Dick finden sich noch diverse Veröffentlichungen.
Gesammelt werden Barbie-Puppen, aber auch Bild-Lilli und ihre Varianten natürlich auch.

Bibliographisches

The Days of Perky Pat ist auf Deutsch als Die Zeit der Perky Pat erschienen, zuerst in Eine Spur Wahnsinn bei Luchterhand (1986). Der vierte Band der Gesammelten Erzählungen ist nach der Kurzgeschichte benannt.
Auf Wiedersehen, Vincent! ist auf Deutsch übersetzt nur einmal erschienen, in Der Rabe, Band 44, übersetzt von Michael Nagula. Dort findet sich auch der Text über Linda Levy. 
Die wenigen englischen Veröffentlichungen finden sich (natürlich) bei ISFDB.
Die vollständigen Notes zu The Days of Perky Pat (und mehr) kann man in der Encyclopedia Dickiana finden, in der sich zu fast jeder Veröffentlichung von Dick ein interessanter Text findet.

Preise

Bild-Lilli - ab 1.000 Euro, aber originalverpackt in sehr guter Erhaltung auch über 3.000 Euro

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