Alle sprechen über Barbie. Also tun wir's auch: Und natürlich gibt es im
Werk von Philip K. Dick auch einen Bezug zu Barbie – und es gibt
auch (mehr als) einen deutschen Bezug. Also auf zur kulturellen
Achterbahn.
1832 wird, kurz nach dem Tod des Autoren, das Stück
Faust. Der Tragödie zweiter Teil. veröffentlicht. Es endet
mit den vielzitierten Worten
Das Unbeschreibliche1952 erfindet Reinhard Beuthien die Comic-Figur Bild-Lilli für die deutsche Bild-Zeitung. Ab 1955 wird die Bild-Lilli Puppe – recht teuer! – an (zuerst) Erwachsene verkauft; zusätzlich wird diverses Zubehör angeboten. Sehr schnell gibt es billige chinesische Kopien.
Hier ist es gethan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
1956 entdeckt Ruth Handler die Puppe in der Schweiz für den
Spielzeughersteller Mattel, der sie 1959 auf den US-Markt bringt. Der
Comic in der Bild endet 1961, die Bild-Lilli Puppe 1964,
als Mattel die Vermarktungsrechte kauft. Benannt ist Barbie, die
eigentlich Barbara Millicent Roberts heisst, nach der
Tochter von Handler; Barbies Freund,
Kenneth „Ken“ Sean Carson ist nach ihrem Sohn benannt - ein
ungesunder Start für die beiden, die Folgen sind bekannt.
Ebenfalls 1959 heiratet Dick seine dritte Frau Anne, die bereits drei
Töchter hat. Im folgenden Jahr wird Dicks erstes Kind geboren, Laura.
1964 reicht Dick seine Scheidung von Anne ein.
Im April 1963 schickt Dick die Kurzgeschichte
The Days of Perky Pat an seinen Agenten. Sie ist
offensichtlich von der Wirkung von Barbie auf Dicks Familie geprägt.
Später schreibt er dazu:
“The Days Of Perky Pat” came to me in one lightning-swift flash when I saw my children playing with Barbie dolls. Obviously these anatomically super-developed dolls were not intended for the use of children, or, more accurately, should not have been. Barbie and Ken consisted of two adults in miniature. The idea was that the purchase of countless new clothes for these dolls was necessary if Barbie and Ken were to live in the style to which they were accustomed. I had visions of Barbie coming into my bedroom at night and saying, “I need a mink coat.” Or, even worse, “Hey, big fellow ... want to take a drive to Vegas in my Jaguar XKE?” I was afraid my wife would find me and Barbie together and my wife would shoot me.
Die children sind offenbar die Töchter seiner Frau, Laura war noch
zu jung für Barbie. Es scheint, als kommen hier einige Ängste für Dick
zusammen: seine (begründete) Angst, die Familie nicht versorgen zu können,
darüber hinaus eine allgemeine Konsumkritik – und Ängste um seine Ehe. Er macht
daraus, wie so oft, einen Text, rund 30 Seiten lang. Das Thema lässt ihn
nicht ruhen und schon im folgenden Jahr ist daraus ein Roman geworden,
einer seiner besten: The Three Stigmata of Palmer
Eldritch.
Kurzgeschichte und Roman unterscheiden sich aber deutlich genug, als dass
diese Geschichte weiter separat publiziert wird, einige anderen
Geschichten, die Dick zu Romanen ausgearbeitet hat, sind später nie wieder
separat publiziert, so Time Pawn, das zu
Dr. Futurity geworden ist.
Der Bezug auf Barbie war bei der Erstveröffentlichung schon
offensichtlich, schon die zeitgenössischen Kritiken (...) beziehen sich
darauf.
Die Notes hat Dick wohl für die Anthologie Science Fiction Origins, Fawcett Popular Library (1980), geschrieben, ein längerer Text, in dem
er auch Die drei Stigmata des Palmer Eldritch eingeht. Etwas später heisst
es:
Now, you see, Perky Pat is the eternally beckoning fair one, das ewige Weiblichkeit [sic!] – “the eternally feminine,” as Goethe put it.
Perky Pats anatomically super-developed Attribute machen
Dick zu schaffen, stimulieren ihn aber und Dick schafft mit dem Bogen zu Goethe
den Weg zurück zum Ausgangspunkt der Achterbahnfahrt.
Zugabe
Ganz fertig sind wir mit Barbie aber nicht. In
The Best of Philip K. Dick, Del Rey (1977) schreibt Dick auch
einen kurzen Absatz zu The Days of Perky Pat:
It was the Barbie-Doll craze which induced this story, needless to say. Barbie always seemed unnecessarily real to me. Years later I had a girl friend whose ambition was to be a Barbie-doll. I hope she made it.
Das hat einen gewissen Anklang zu einer kurzen Szene in In Flow My Tears, the Policeman Said
(1974), hier wird eine Frau mit Barbie verglichen:
“Remember Constance Ellar?”
“Yes,” Heather said. "That nonentity starlet that looked like a Barbie Doll except that her head was too small and her body looked as if someone had inflated her with a CO2 cartridge, overinflated her.” Her lip curled. “She was utterly damn dumb.”“Right,” he agreed. “Utterly damn dumb. That’s the exact word. Remember what we did to her on my show? Her first planetwide exposure, because I had to take her in a tie-in deal. Do you remember that, what we did, you and I?”Silence.
Das entwickelt sich zu einer amüsanten (und durchaus anzüglichen) Geschichte, es lohnt sich unbedingt das im
5. Kapitel nachzulesen. Man kann sich auch überlegen, wie das Barbie-Girl Constance hier
von Heather beschrieben wird: "someone had inflated her with a CO2
cartridge, overinflated her." Man darf
annehmen, dass bestimmte Körperteile besonders aufgeblasen waren. Die Wahrnehmung von Barbie ist in jedem Fall nicht
positiv, für Dick ist sie die Verkörperung der „dummen Blondine“.
Und zum Schluss kommen wir zu einem wenig bekannten, weil wenig
publizierten Stück von Dick: Goodbye, Vincent. In dieser surrealen Geschichte treffen wir auf die Linda-Puppe und einen ihrer erwachsenen „Anhänger“. Linda, bzw. die mystische Vorlage der Puppe, ist offenbar ein
tiefsinniges Wesen und damit ganz und gar das Gegenteil von Barbie, die
sie verdrängen soll.
Der Hintergrund der Geschichte ist Dicks Beziehung
mit Linda Levy, von der man in Der Rabe, Band 44, versteckt auf Seite
204 in den Nach- und Hinweisen ein wenig nachlesen kann. Der Band enthält
natürlich auch die Übersetzung von Goodbye, Vincent. Ob Linda
der girl friend whose ambition was to be a Barbie-doll
war? Wohl eher nicht, denn diese Linda ist ja das Gegenteil. Über Linda Levy
und Philip K. Dick finden sich noch diverse Veröffentlichungen.
Gesammelt werden Barbie-Puppen, aber auch Bild-Lilli und ihre Varianten natürlich auch.
Bibliographisches
The Days of Perky Pat ist auf Deutsch als
Die Zeit der Perky Pat erschienen, zuerst in
Eine Spur Wahnsinn bei Luchterhand (1986). Der vierte Band der
Gesammelten Erzählungen ist nach der Kurzgeschichte benannt.
Eine
vollständige Liste aller deutschen Erscheinungen der
Kurzgeschichte
findet sich im Blog.
Auf Wiedersehen, Vincent! ist auf Deutsch übersetzt nur einmal
erschienen, in Der Rabe, Band 44, übersetzt von Michael Nagula.
Dort findet sich auch der Text über Linda Levy.
Die wenigen englischen Veröffentlichungen finden sich (natürlich)
bei ISFDB.
Die vollständigen Notes zu The Days of Perky Pat (und
mehr) kann man in der
Encyclopedia Dickiana
finden, in der sich zu fast jeder Veröffentlichung von Dick ein
interessanter Text findet.
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