»Was macht man so als Sammler?« – eine Frage, die sich praktisch
niemand stellt, die dieser Blog aber immer wieder zu beantworten versucht.
Sammeln ist ja erst am Schluss der Erwerb – und dieser letzte Schritt ist
oft der langweiligste, auch wenn das Eintreffen lange gesuchter Exemplare
grosse Freude bringt. Aber im Zeitalter digitaler Antiquariate kriegt man
fast immer fast alles, begrenzt nur durch das eigene Budget, spannend ist da
nur die Suche nach dem guten Angebot. Viel interessanter
aber ist oft die Jagd nach ganz neuen Einträgen für den Katalog …
Schwermetall #71, Alpha Comics (1985) |
In dem sozialen Medium für alte Mensch, auf dem dieser Tage der meiste
Austausch zu Philip K. Dick stattzufinden scheint, wurde in einem
abgelegenen Winkel neulich ein Heftchen von 16 Seiten im DIN A5 Format
vorgestellt, mit dem Titel Le Retour des explorateurs. Es handelt
sich um Philip K. Dicks Kurzgeschichte Explorers we von 1959 in der
französischen Übersetzung von Pierre Billon. Ein ungewöhnliches Format und
die Behauptung, dass das Heft für das
2eme Festival International de la SF de Metz im September (19.–25.)
1977 gefertigt sei, erregt Neugier: Dick war ja selbst in Metz! Ist diese
Ausgabe wirklich wegen seinem Besuch erschienen?
Der erste Ort für Recherchen französischer Ausgaben ist nooSFere und
dort findet sich zuverlässig auch diese Ausgabe und eine zeitgenössische Rezension:
[…]Dick était à Metz en Septembre 1977. Et à cette occasion Henry-Luc Planchât a édité cette plaquette contenant Le retour des explorateurs de P.K.D. (parue dans Fiction 137. Elle vient d'être récemment adaptée en bandes dessinées – mais sans préciser la source ! – par Géminiani et Blanc-Dumont dans Pilote 53). Astucieux, car vendue 3 francs, elle permettait ensuite d'aller quémander une dédicace au grand homme, et ça faisait plus sérieux que sur un rond de bière!
Dieses Büchlein war also in der Tat für das Treffen in Metz – ob das
Erhaschen einer Signatur von Dick wirklich die Geschäftsidee war? Und ob
es geklappt hat? Mir ist ein signiertes Exemplar nie begegnet (obwohl es
einige signierte nicht-englischsprachige Exemplare von Dicks Romanen gibt).
Interesse erweckt aber die Erwähnung eines Comics, der angeblich auf der
Geschichte basiert: und “mais sans préciser la source”, die nicht
geleistete Quellenangabe, mag erklären, warum dieser Comic (mir) vorher
unbekannt geblieben ist. Aber wo ist er?
Auf der Suche
Die wohl beste Seite für das französische Comic-Magazine Pilote
zeigt den Inhalt von Ausgabe 53 von 1978 mit einem Beitrag von Michel
Blanc-Dumont und (Claude) Gemignani mit dem (passenden) Titel
“Infiltration”. Das ist interessant, eine französische Ausgabe!
Aber noch interessanter wäre es, wenn es dieser Titel ins Deutsche
geschafft hätte, wie vorher schon
Moebius' Les Clans de la Lune Alphane.
Die allwissende Suchmaschine findet in der
Grand Comics Database (GCD)
eine Reihe Zeitschriften, auch deutsche, die einige der Geschichten aus
Pilote 53 nachdrucken. Und (nur)
Schwermetall #71 von 1985 enthält die
gleichnamige deutsche Übersetzung von Infiltration.
Schwermetall war ein Comicmagazin, das von 1980 bis 1999 erschien
und Beiträge aus dem französischen Metal Hurlant übernahm, aber
offenbar auch aus Pilote und weiteren Quellen (Metal Hurlant
wurde 1987 eingestellt, eine neue vierteljährliche Reihe erscheint seit 2021). Der Schwerpunkt waren erotische (deshalb
gab es einige umstrittene Publikationen), aber eben auch Science Fiction
Geschichten.
Da sich die Ausgaben von Schwermetall einfach und günstig finden
lassen, musste die #71 natürlich umgehend beschafft werden. Das erhaltene
Exemplar erscheint leider etwas ausgeblichen.
Inhalt
Infiltration ist ein schwarz-weisser Comic auf vier Seiten mit
Raumschiffen, Astronauten, Polizisten und Toten, ins Deutsche übersetzt von Gerd Benz.
Ist Infiltration die Comic-Adaption von Entdecker sind wir?
Die einfach Antwort: Ja. - Aber: Statt sechs haben wir nur drei
Astronauten (mit anderen Namen), dafür noch eine Astronautin. Nur zwei der
Astronauten ziehen hier in die Stadt, dafür gibt es ein frühes Treffen mit
einem bedrohlichen Autofahrer. Und nicht das FBI kommt, sondern die lokale
Polizei. Das Ende ist aber gleichermassen drastisch und die nächste Runde
der Geschichte wird wie im Original gleich gestartet.
Die grundlegenden Elemente von Dicks Vorlage und dem Comic stimmen
überein, aber auch Feinheiten, wie die Verwirrung der Astronauten, die
Furcht der Zivilisten und die Unerbittlichkeit der Polizisten sind
getreulich übernommen. Die Änderungen sind wohl dem Format geschuldet,
insbesondere der Reduzierung auf vier Seiten. Die Abänderung der Namen mag
etwas damit zu tun haben, dass sich der Texter Claude Geminiani nicht zur
seiner Vorlage bekennen wollte, die Worte Urheberrecht und Lizenzierung
kommen in den Sinn.
Auch ohne die explizite Nennung von Philip K. Dick handelt es sich hier
für den Autoren dieses Blogs um eine echte Adaption der Geschichte und
mehr als nur eine Inspiration, keines der Kernelement der Geschichte des
Comics ist neu. Und im Vergleich scheint
der Comic
Nuclear Family, der Dick als Vorlage explizit nennt, vergleichsweise weiter von
der Vorlage entfernt als Infiltration.
Ein Beispiel für eine Inspiration ist der Comic
Hard Boiled von Frank Miller. Hier wird immer wieder Philip K.
Dick genannt, häufig auch im Zusammenhang mit
Blade Runner – der visuelle Einfluss ist auch sichtbar.
Die Kurzgeschichte von Dick, aus der Miller eigentlich nur ein Element
übernimmt, ist Die elektrische Ameise [Electric Ant] und die Gewaltorgie, die einen wesentlichen Teil des Comics ausmacht,
finden wir bei Dick keinesfalls. Andersherum wird Dicks (eigentlich
Kern-)Frage nach der Realität im Comic nicht gestellt. Miller ist
inspiriert, er nimmt ein Element aus der Kurzgeschichte, visuelles aus
dem Film und formt daraus Neues mit seinem eigenen Wert, aber in diesem
Blog zählen wir das nicht als Adaption eines Werkes von Dick.
Frankreich
Verwundern kann ein französischer Comic nach Philip K. Dick nicht. Das
Land der Liebe liebt Dick und Comics gleichermassen
intensiv – man muss sich wundern, dass es nicht mehr
französische Dick-Comics gibt (vielleicht sind sie diesem Blog aber bisher
nur verborgen geblieben – insbesondere solche ungenannten Adaptionen sind
wohl nur schwer zu entdecken). Ausser dem erwähnen Les Clans de la Lune Alphane von Jean Giraud ist diesem Sammler nichts bekannt.
Gesammelt werden Comics natürlich in grossem Umfang – ob man 20 Jahrgänge
Schwermetall sammeln möchte oder das unendlich erscheinende
Sammelgebiet der Werke von Giraud, es gibt viel zu tun.
Übrigens bestätigt auch die
Encyclopedia Dickiana
(immer noch eine der besten Quellen), dass das Heftchen
mit Le Retour des explorateurs speziell für Metz
gedruckt war. Erschienen war die französische Übersetzung von Billon
schon 1965 in Fiction #137. ISFDB
Alle Comics nach und über Philip K. Dick
hier in diesem Blog.
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