Samstag, 4. Mai 2024

Infiltration

»Was macht man so als Sammler?« – eine Frage, die sich praktisch niemand stellt, die dieser Blog aber immer wieder zu beantworten versucht. Sammeln ist ja erst am Schluss der Erwerb – und dieser letzte Schritt ist oft der langweiligste, auch wenn das Eintreffen lange gesuchter Exemplare grosse Freude bringt. Aber im Zeitalter digitaler Antiquariate kriegt man fast immer fast alles, begrenzt nur durch das eigene Budget, spannend ist da nur die Suche nach dem guten Angebot. Viel interessanter aber ist oft die Jagd nach ganz neuen Einträgen für den Katalog …
Schwermetall #71, Alpha Comics (1985)
In dem sozialen Medium für alte Mensch, auf dem dieser Tage der meiste Austausch zu Philip K. Dick stattzufinden scheint, wurde in einem abgelegenen Winkel neulich ein Heftchen von 16 Seiten im DIN A5 Format vorgestellt, mit dem Titel Le Retour des explorateurs. Es handelt sich um Philip K. Dicks Kurzgeschichte Explorers we von 1959 in der französischen Übersetzung von Pierre Billon. Ein ungewöhnliches Format und die Behauptung, dass das Heft für das 2eme Festival International de la SF de Metz im September (19.–25.) 1977 gefertigt sei, erregt Neugier: Dick war ja selbst in Metz! Ist diese Ausgabe wirklich wegen seinem Besuch erschienen?
Der erste Ort für Recherchen französischer Ausgaben ist nooSFere und dort findet sich zuverlässig auch diese Ausgabe und eine zeitgenössische Rezension:
[…]
Dick était à Metz en Septembre 1977. Et à cette occasion Henry-Luc Planchât a édité cette plaquette contenant Le retour des explorateurs de P.K.D. (parue dans Fiction 137. Elle vient d'être récemment adaptée en bandes dessinées – mais sans préciser la source ! – par Géminiani et Blanc-Dumont dans Pilote 53). Astucieux, car vendue 3 francs, elle permettait ensuite d'aller quémander une dédicace au grand homme, et ça faisait plus sérieux que sur un rond de bière!
Dieses Büchlein war also in der Tat für das Treffen in Metz – ob das Erhaschen einer Signatur von Dick wirklich die Geschäftsidee war? Und ob es geklappt hat? Mir ist ein signiertes Exemplar nie begegnet (obwohl es einige signierte nicht-englischsprachige Exemplare von Dicks Romanen gibt).
Interesse erweckt aber die Erwähnung eines Comics, der angeblich auf der Geschichte basiert: und “mais sans préciser la source”, die nicht geleistete Quellenangabe, mag erklären, warum dieser Comic (mir) vorher unbekannt geblieben ist. Aber wo ist er?

Auf der Suche

Die wohl beste Seite für das französische Comic-Magazine Pilote zeigt den Inhalt von Ausgabe 53 von 1978 mit einem Beitrag von Michel Blanc-Dumont und (Claude) Gemignani mit dem (passenden) Titel “Infiltration”. Das ist interessant, eine französische Ausgabe! Aber noch interessanter wäre es, wenn es dieser Titel ins Deutsche geschafft hätte, wie vorher schon Moebius' Les Clans de la Lune Alphane.
Die allwissende Suchmaschine findet in der Grand Comics Database (GCD) eine Reihe Zeitschriften, auch deutsche, die einige der Geschichten aus Pilote 53 nachdrucken. Und (nur) Schwermetall #71 von 1985 enthält die gleichnamige deutsche Übersetzung von Infiltration.
Schwermetall war ein Comicmagazin, das von 1980 bis 1999 erschien und Beiträge aus dem französischen Metal Hurlant übernahm, aber offenbar auch aus Pilote und weiteren Quellen (Metal Hurlant wurde 1987 eingestellt, eine neue vierteljährliche Reihe erscheint seit 2021). Der Schwerpunkt waren erotische (deshalb gab es einige umstrittene Publikationen), aber eben auch Science Fiction Geschichten.
Da sich die Ausgaben von Schwermetall einfach und günstig finden lassen, musste die #71 natürlich umgehend beschafft werden. Das erhaltene Exemplar erscheint leider etwas ausgeblichen.

Inhalt

Infiltration ist ein schwarz-weisser Comic auf vier Seiten mit Raumschiffen, Astronauten, Polizisten und Toten, ins Deutsche übersetzt von Gerd Benz.
Ist Infiltration die Comic-Adaption von Entdecker sind wir? Die einfach Antwort: Ja. - Aber: Statt sechs haben wir nur drei Astronauten (mit anderen Namen), dafür noch eine Astronautin. Nur zwei der Astronauten ziehen hier in die Stadt, dafür gibt es ein frühes Treffen mit einem bedrohlichen Autofahrer. Und nicht das FBI kommt, sondern die lokale Polizei. Das Ende ist aber gleichermassen drastisch und die nächste Runde der Geschichte wird wie im Original gleich gestartet.
Die grundlegenden Elemente von Dicks Vorlage und dem Comic stimmen überein, aber auch Feinheiten, wie die Verwirrung der Astronauten, die Furcht der Zivilisten und die Unerbittlichkeit der Polizisten sind getreulich übernommen. Die Änderungen sind wohl dem Format geschuldet, insbesondere der Reduzierung auf vier Seiten. Die Abänderung der Namen mag etwas damit zu tun haben, dass sich der Texter Claude Geminiani nicht zur seiner Vorlage bekennen wollte, die Worte Urheberrecht und Lizenzierung kommen in den Sinn.
Auch ohne die explizite Nennung von Philip K. Dick handelt es sich hier für den Autoren dieses Blogs um eine echte Adaption der Geschichte und mehr als nur eine Inspiration, keines der Kernelement der Geschichte des Comics ist neu. Und im Vergleich scheint der Comic Nuclear Family, der Dick als Vorlage explizit nennt, vergleichsweise weiter von der Vorlage entfernt als Infiltration.
Ein Beispiel für eine Inspiration ist der Comic Hard Boiled von Frank Miller. Hier wird immer wieder Philip K. Dick genannt, häufig auch im Zusammenhang mit Blade Runner  der visuelle Einfluss ist auch sichtbar. Die Kurzgeschichte von Dick, aus der Miller eigentlich nur ein Element übernimmt, ist Die elektrische Ameise [Electric Ant] und die Gewaltorgie, die einen wesentlichen Teil des Comics ausmacht, finden wir bei Dick keinesfalls. Andersherum wird Dicks (eigentlich Kern-)Frage nach der Realität im Comic nicht gestellt. Miller ist inspiriert, er nimmt ein Element aus der Kurzgeschichte, visuelles aus dem Film und formt daraus Neues mit seinem eigenen Wert, aber in diesem Blog zählen wir das nicht als Adaption eines Werkes von Dick.

Frankreich

Verwundern kann ein französischer Comic nach Philip K. Dick nicht. Das Land der Liebe liebt Dick und Comics gleichermassen intensiv – man muss sich wundern, dass es nicht mehr französische Dick-Comics gibt (vielleicht sind sie diesem Blog aber bisher nur verborgen geblieben – insbesondere solche ungenannten Adaptionen sind wohl nur schwer zu entdecken). Ausser dem erwähnen Les Clans de la Lune Alphane von Jean Giraud ist diesem Sammler nichts bekannt.
Gesammelt werden Comics natürlich in grossem Umfang – ob man 20 Jahrgänge Schwermetall sammeln möchte oder das unendlich erscheinende Sammelgebiet der Werke von Giraud, es gibt viel zu tun.
Übrigens bestätigt auch die Encyclopedia Dickiana (immer noch eine der besten Quellen), dass das Heftchen mit Le Retour des explorateurs speziell für Metz gedruckt war. Erschienen war die französische Übersetzung von Billon schon 1965 in Fiction #137ISFDB
Alle Comics nach und über Philip K. Dick hier in diesem Blog.

Preise

"Schwermetall #71", Alpha Comics (1985) in sehr guter Erhaltung bei 5 Euro überall wo es Comics gibt

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