Samstag, 9. April 2022

Ocean of Glass and Fire

Das Internet und die – oft mit Recht – viel gescholtenen sozialen Medien können auch hilfreich sein. Ein persönlicher Tipp aus dem Netz – danke, Zack – hat mich auf die Kurzgeschichtensammlung Ocean of Glass and Fire des US-amerikanischen Schriftstellers und Lyrikers Rob Hollis Miller aufmerksam gemacht. Ohne diesen Hinweis wäre ich wohl kaum darauf aufmerksam geworden.
Natürlich geht es auch in diesem kleinformatige Büchlein von 75 Seiten um Philip K. Dick – irgendwie. Es enthält fünf locker zusammenhängende Kurzgeschichten um den „Kult“ des Dick K. Phillipi, eines Schriftstellers der einige Ähnlichkeit mit dem realen Philip K. Dick hat.
In der ersten Geschichte wird über die professionelle Befreiung eines jungen Mannes aus den Klauen des mutmasslichen Kults berichtet wird. Um den Kult geht es auch in The Crazy Kazi Bros. Super Computer Mart mit eine mutmasslich welterschütterndem Ende. In I Know Just How Columbus Felt ist der Protagonist auf der Suche nach Büchern von PKD, die es aber in der Realität des Protagonisten nicht zu geben scheint. The Whirlwind setzt die vorige Geschichte aus anderer Perspektive fort.
Bücher mit Umschlagillustrationen von Mark Bilokur
Ocean of Glass and Fire und The Dark Haired Girl illustriert von Mark Bilokur
Die letzte Geschichte, Looking Into the Sun berichtet über den Mord an einer Journalistin, die den Kult untersucht hat. Der Protagonist ist sich hier auf sehr phildickian Art und Weise unsicher, ob er diesen Mord begangen hat.
Der Titel der ersten Geschichte hat sich mir nicht wirklich erschlossen, bei den folgenden spielt der Titel schon, wenn auch indirekt, auf die Handlung an. Insgesamt sind die Geschichten sehr dicht und spielen vielerlei Weise auf Dick an, die zeigt, dass der Autor sich intensiv mit Dick beschäftigt hat. Die kleinen Widersprüche und Inkonsistenzen (wenn man sie als Stilmittel wertet) legen ein Schleier des Zweifels über die Texte, das passt zu Dick.
Die notwendigermassen gewaltsame Befreiung vom Kult, ein Mord an einer kritischen Journalistin und Bücher, die es nicht wirklich (oder doch?) gibt – so ernst das alles geschildert wird, so sehr macht sich Miller hier doch in seiner Übertreibung etwas über die Anhänger des echten Philip K. Dick lustig.
Natürlich, das sei hier kurz erwähnt, handelt es sich bei den Geschichten um recursive oder Meta-SF
Die Geschichte Ocean of Glass and Fire ist zuerst in New Pathways Into Science Fiction and Fantasy vom Dezember 1988 erschienen, diese Sammlung ist von 1992.
Die drei anderen, sehr kurzen Geschichten in diesem Band sind eher lyrisch-rätselhaft und verweisen im Stil wohl eher auf frühere Werke des Autoren, bei denen es sich um einige Gedichtbände handelt.
Umschlag- und Innenillustrationen sind von Mark Bilokur, der auch im gleichen Stil die Erst- und einzige (englische) Ausgabe von The Dark-Haired Girl beim Verlag Mark V. Ziesing (1988) illustriert hat. 
Zum Autoren selbst finden sich ein paar Informationen im Buch: 1944 geboren hat Miller überwiegend Lyrik publiziert, auf ISFDB finden sich auch einige Essays aus dem phantastischen Umfeld. Diese Sammlung steht eher am Ende seiner Publikationsgeschichte. Seine Lyriksammlung Shanghai Creek Fire von 1977 kann man mit etwas Glück antiquarisch kaufen, sie findet sich aber auch beim Internet Archive
Der Kleinverlag Worldcraft of Oregon, bei dem das Buch erschienen ist, hat sein Geschäft 2016 nach eigener Auskunft aufgegeben
Braucht man nun dieses Buch in seiner Sammlung? Natürlich ist es nicht kanonisch, aber es ist spannend und interessant und zeigt uns eine andere Welt, wenn wir uns ein bisschen mit dem Werk von Miller beschäftigen. Und es zeigt wie man im Fandom von Philip K. Dick schon früh kulthafte Züge wahrgenommen hat, auf eine Art und Weise, wie man das bei anderen Autoren nur selten finden. (Was zu der interessanten Frage führen würde, welche Autoren einen ähnlichen Kult haben ... vielleicht H. P. Lovecraft, über den Miller auch geschrieben hat?)
Ein Review zu diesem Buch, den ich leider überhaupt nicht selbst auftreiben konnte, findet sich in The New York Review of Science Fiction von November 1993 (darin enthalten ist auch ein Brief von James Tiptree, Jr. an Dicks früheren Herausgeber Ted White über Dick, den man gerne lesen würde).
Derzeit findet sich im Netz ein Angebot von diesem Büchlein, für wenig Geld (allerdings viel Porto) – insgesamt ist dieses Buch aber eher selten zu finden.
In diesem Blog findet sich auch eine Seite mit deutscher und englischer Meta-SF zu und über Philip K. Dick mit vollständigen bibliographischen Daten.

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