Samstag, 8. Juli 2023

Alles nur geklaut

Dieser Blogeintrag erzählt eine Geschichte über (u. a.) den Nutzen von Bibliographien und was man darin finden kann … und wo uns das hinführt:

    In PKD Otaku 37 vom April 2018 findet sich auf Seite 41, unter dem Bild einer knapp bekleideten Frau im Stil der späten siebziger Jahre auf dem Cover eines – offenbar „einschlägigen“ – Magazins der Text:

    I trust I have your attention. Looking though Galactic Central’s bibliographic website (http://www.philsp. com/) I came across this:
    Computer • Lorraine Gargiulo • ss Adam (Australia)
    Feb 1978 [Philip K. Dick]; plagiarism of “The Great
    C” by Philip K. Dick.
    And I wondered why if anyone would want to plagiarize
    one of Phil’s stories, why in the world would they
    choose “The Great C” of all things. And why publish it
    in an Australian men’s magazine? I’m more than a little
    curious to see this presumably re-written tale of Phil’s but
    I suspect I never will. A pretty crazy venue for PKD, to be
    sure. Even for fake PKD.
    So wie Patrick Clark, den Herausgeber von PKD Otaku, von dem dieser Text stammt, so hat auch mich dieser kleine Eintrag neugierig gemacht. Zumal der Text auch eine Frage stellt, die beantwortet werden will.
    Der falsche (links) und der richtige (rechts) Adam
    Das als Quelle genannte Galactic Central, das bei bibliographischen Recherchen ISFDB, das wenig über Zeitschriften hat, ergänzt, ist etwas ausführlicher:
      Adam (Australia) [v64 #3, February 1978]
      Details taken from Science Fiction News #104, May 1987 Issue partially indexed.
      • 60 · Computer · Lorraine Gargiulo · ss [Ref. Philip K. Dick]
        plagiarism of “The Great C” by Philip K. Dick, Cosmos Science Fiction and Fantasy September 1953.
    Es nennt „Adam (Australia)“ as Publikation und als Originalquelle dafür Science Fiction News, ein australisches Fanzine. Dieses australische Adam Magazin wird im Netz beschrieben als ein Männermagazin unter dem Motto Abenteuer – Sport – Humor“ und enthielt neben spärlich bekleideten Frauen auch Kriminal- und Sportgeschichten und über die Jahre auch immer wieder Science Fiction Kurzgeschichten.
    Die weitere Suche hat dann überraschenderweise gezeigt, dass das im PKD Otaku abgebildete Cover eine Ausgabe des „Adult Magazine“ Adam, herausgegeben von Knight Publishing im US-amerikanischen Los Angeles, zeigt – und nicht die gleichnamige und inhaltlich verwandte, aber ansonsten eigenständige australische Publikation. Das Cover in PKD Otaku ist falsch!
    Mit dieser Information fand sich dann ein unvollständiger Scan dieser Ausgabe im Netz. Die Seite PULP International kommentiert täglich (sehr unterhaltsam übrigens) ein Stück Pulp, triviale Unterhaltung aus dem Bereich Film, Taschenbuch und Zeitschrift (heute nennt man das oft „Kult“) aus den 1950er bis 80er Jahren. Im Blogeintrag vom 18. Februar 2020 wurde dort die gesuchte Ausgabe des australischen Adam vom Februar 1978 berücksichtigt. Von der genannten Kurzgeschichte ist dort nur eine ganzseitige Illustration und die erste Seite berücksichtigt – der Fokus der Site liegt eben auf Bildern, nicht auf den Textstrecken.
    Diese erste Seite erlaubt aber einen ersten Blick auf das mutmassliche Plagiat. Es zeigt sich, dass das bereits eine Beurteilung der abgedruckten Kurzgeschichte erlaubt:

    Original von Philip K. Dick (Cosmos Science Fiction and Fantasy Magazine, September 1953)

    HE WAS NOT TOLD the questions until just before it was time to leave. Walter Kent drew him aside from the others. Putting his hands on Meredith's shoulders, he looked intently into his face.

    "Remember that no one has ever come back. If you come back you'll be the first. The first in fifty years."

    Tim Meredith nodded, nervous and embarrassed, but grateful for Kent's words. After all, Kent was the Tribe Leader, an impressive old man with iron-gray hair and beard. There was a patch over his right eye, and he carried two knives at his belt, instead of the usual one. And it was said he had knowledge of letters.

    "The trip itself takes not much over a day. We're giving you a pistol. There are bullets, but no one knows how many of them are good. You have your food?"

    Meredith fumbled in his pack. He brought out a metal can with a key attached. "This should be enough," he said, turning the can over.

    "And water?"

    Meredith rattled his canteen.

    "Good." Kent studied the young man.

    […]

    180 Worte (von ca. 5.000)

    Plagiat (Adam, Februar 1978)


    HE WASN'T TOLD the question until it was almost time to leave. Charles Haskell drew him away from the others. Putting his hands on Mason's shoulders, he started into his face.


    "Remember, no one has ever come back. If you return, you'll be the first. The first in 80 years."

    Mason nodded, nervous, embarrassed, but grateful for the other's warning. After all, Haskell WAS the Tribal Leader, a tall, impressive man with iron-grey hair and beard. He carried two long knives at his belt instead of the usual one, and it was said that he had knowledge of letters.


    "The journey itself should take one day. We are giving you a pistol, but event I don't know if all the bullets are good. You're sure you have enough food - and water?"

    Mason fumbled inside his pack for the canteen and metal box, "Yes, it should be sufficient," he said.




    […]

    150 Worte


    Es handelt sich ganz offensichtlich um ein Plagiat. Meine Bemühungen, einen vollständigen Scan zu finden oder ein Original des Magazin sind leider – bisher? – erfolglos; es ist aber nach dem oben gezeigten (und der ursprünglichen Beurteilung durch Science Fiction News) kaum zu erwarten, dass sich an der Beurteilung als Plagiat viel ändern würde.
    Philip K. Dicks frühe Kurzgeschichte The Great C ist 1953 in der ersten Ausgabe von Cosmos Science Fiction and Fantasy Magazine erschienen. Die einzige weitere Veröffentlichung bis zu den Collected Stories (1987) war Science Fiction Monthly (Australia), #7 vom März 1956. Die Spur zu einem Plagiat in einem australischen Männermagazin 1978 führt also über einen Nachdruck in einem australischen Pulp-Magazin 1956. Von der Autorin Lorraine Gargiulo ist sonst nichts zu finden, man darf ein Pseudonym vermuten.
    Die Änderung des Titels ist wenig kreativ und absehbar. Auffällig am neuen Text sind die Kürzungen, die in diesem allerdings kurzen Stück fast zwanzig Prozent ausmachen und die Änderung der Namen. Die orthographischen Änderungen sind zu erwarten und auch heute noch üblich: so wird aus Dicks original-amerikanischen "iron-gray" ein britisch-englisch-australisches "iron-grey".
    Die Hoffnung, dass dieses Plagiat unentdeckt bleibt, resultiert vermutlich auf der Annahme, dass niemand den Buchstaben zwischen den Bildern viel Beachtung schenken würde. Und der Fehlannahme, dass niemand eine über zwanzig Jahre alte Kurzgeschichte wiedererkennt. Das hätte bei den vielen heute vergessenen Autoren vermutlich funktioniert, daher war die Wahl eines Texts von Dick wohl nicht durchdacht. Das Plagiat wurde entdeckt und 1987 im australischen Fanzine Science Fiction News enttarnt. Adam hatte das Jahr 1978 schon nicht mehr überlebt (nach Mai sind keine Ausgaben zu finden), daher gab es sicher keine weiteren Konsequenzen.
    Was hätte Dick gesagt? Er hätte sich zuerst beraubt gefühlt – Schreiben war sein Beruf, Abschreiben brachte ihn um sein Brot (auch wenn er 1978 die allergröbsten finanziellen Problemen überwunden hatte). Die Änderungen hätten ihn wohl auch nicht glücklich gemacht … die Gesellschaft barbrüstiger Frauen hätte ihn 1978 vielleicht nur wegen seiner literarischen Reputation gestört. 1964 ist es zwar zur Veröffentlichung seiner Geschichte Orpheus with Clay Feet im Herrenmagazin Escapade (wirklich!) nicht gekommen, es war aber offenbar angestrebt (und vielleicht sogar verkauft).
    Der Gott des Zorns von Bastei Lübbe mit dem Grossen C
    1980 veröffentlicht er auch im (allerdings hinlänglich angesehenen) US Playboy die Geschichte I Hope I Shall Arrive Soon, 1999 erscheint Der Fall Rautavaara im deutschen Playboy. In jedem Fall hatte Dick mit Zeitschriften dieser Art nur wenig Berührungspunkte, es ging ihm besser als Kurt Vonneguts Protagonist Kilgore Trout, der ausschliesslich Lückenfüller in dieser Art von Heften war: Dicks finanzielle Situation in den ersten Jahren seiner Karriere war kaum besser als die von Trout. (Und Dick war nicht die Inspiration für Vonneguts Trout, sondern Theordore Sturgeon; die Lebenssituation von Science Fiction Autoren waren sich häufig aber durchaus sehr ähnlich.)
    Ich habe PKD Otaku diese kleine Korrektur zukommen lassen und sie findet sich als Leserbrief am Ende der aktuellen Ausgabe von PKD Otaku (#44), die sich online von der Philip K. Dick Fan-Seite herunterladen lässt. Wohl eher zufällig erwähnt auch das Editorial zum aktuellen Top-Thema „Künstliche Intelligenz“ die Kurzgeschichte The Great C:
    Computers appear from time to time in Phil’s works. They are legitimate science fiction devices though in Phil they are essentially big adding machines more than characters as such. A memorable exception is “The Great C” from a 1953 short story of the same name. Phil recycled the story as chapter seven in Deus Irae (1976). The Big C actually carries on a conversation and that conversation has all the earmarks of one of Phil’s talkative robots. We’ve heard it before and it is always fun even though the Big C actually wants to kill the human he speaks with.
    Deus Irae ist auf Deutsch Der Gott des Zorns, ein deutscher „Single“ von Bastei Lübbe. Die Idee der Kurzgeschichte und einzelne Details werden tatsächlich wiederverwendet, der Grosse C spielt auch in folgenden Kapiteln des Romans eine Rolle.
    Ich denke auch in Vulkans Hammer sind die Computer mehr als nur Rechenmaschinen, Vulkan-3 hat dort einiges zu sagen.

    Bibliographisches

    Deutsche Erscheinungen der Kurzgeschichte (und hätte es nicht Der grosse C heissen müssen?):

    Das große C [The Great C, 1953] übersetzt von Walter Grossbein
    • in Kolonie, Haffmans (1999)
    • in Und jenseits – das Wobb, Zweitausendeins (2008)
      Alles zu The Great C bei ISFDB.

      The Great C gehört nicht zu den allgemein als gemeinfrei angesehenen Kurzgeschichten.

      Der Gott des Zorns [Deus Irae, 1976] mit Roger Zelazny, Bastei-Verlag Lübbe (1979). ISBN 3-404-01125-2 – die einzige deutsche Ausgabe

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