Samstag, 3. Juni 2017

Dick, Lem und Rottensteiner: Ubik

Wer sich im deutschen Sprachraum mit Philip K. Dick beschäftigt – oder überhaupt irgendwie mit Science Fiction – dem wird auch Franz Rottensteiner begegnen. Für mich verbindet sich der Name Rottensteiner mit dem Suhrkamp Verlag, wo er von 1980 bis 1998 die bekannte lila Taschenbuchreihe Die Phantastischen Romane betreute, in der 1977 auch erstmals Dicks Meisterstück Ubik auf Deutsch erschienen ist. LSD-Astronauten (1971) und Mozart für Marsianer (1973) waren vorher von Rottensteiner bereits in der Reihe Science Fiction der Welt bei Insel publiziert worden.
Der Widerstand der Materie. Ausgewählte Briefe, erschienen bei Parthas (2008), enthält
neben anderen auch einige Briefe von Stanislaw Lem an Philip K. Dick
Über die Korrespondenz zwischen Dick und Rottensteiner entsteht Dicks Kontakt mit Stanislaw Lem. Am 29. Oktober 1971, im letzten Brief in The Selected Letters of Philip K. Dick, 19381971, schreibt Dick, dass Bruce Gillespie in Australien ihm mitgeteilt habe, dass Lem offenbar Interesse daran habe, Dicks Romane in Polen zu veröffentlichen. Er bittet Rottensteiner, der Lems Agent ist, den Kontakt herzustellen. Ausserdem fragt er nach dem deutschen Artikel Science Fiction  A Hopeless Case, with Exceptions über den Gillespie berichtet. Interessant dabei ist, dass der Artikel erst später, nämlich 1972 im Quarber Merkur 29 unter dem Titel Science-Fiction: ein hoffnungsloser Fall  mit Ausnahmen erscheint. Gillespie hat offensichtlich bereits ein Manuskript, das er später auch in seinem SF Commentary veröffentlicht. Dick fragt noch einmal am 31. Oktober 1972 bei Rottensteiner nach dem Artikel und schreibt erst am 4. September 1973 an Lem, dass er den Artikel nun endlich erhalten (und gelesen) habe – zwei Jahre nach der ersten Anfrage.
Lems Artikel kritisiert die Qualität der US-amerikanisch dominierten Science Fiction und nennt explizit Dick als Ausnahme; dabei zählt er übrigens Do Androids Dream of Electric Sheep? zu Dicks schwächsten Werken – eine Beurteilung, die sich nicht durchgesetzt hat. In den anderen Briefen im Austausch zwischen Dick und Lem – und teilweise Dicks Agenten in den USA und Rottensteiner – geht es viel um die Zahlungsmodalitäten für die Rechte an Ubik. Da es scheinbar nicht möglich ist, polnische Tantiemen in harter Währung auszuzahlen, sondern nur in polnischen Zloty, schlägt Lem sehr detailliert vor, wie Dick mit den Zloty ein Flugticket nach Polen kaufen, dort verschiedene Auftritte absolvieren (die weitere Zloty verdienen würden) und überhaupt das Geld umsetzen sollte.
Alle diese Pläne gehen aber nicht auf und Dick erhält am Ende wohl kein Geld oder andere Gegenleistung für diese erste Veröffentlichung von Ubik in Polen. Letztlich zerstreiten sich die beiden auch über die Tantiemen – und man muss wohl annehmen, dass Dick seinen Ärger über die Tantiemenregelung recht ungerecht auf Lem projiziert.
In einem letzten Brief vom 9.7.74 beendet Lem die Korrespondenz mit Dick. Der berichtet am 2.9.74 dann in einen Brief an das FBI über eine marxistische Verschwörung bei der Lem im Zentrum steht, aber auch Rottensteiner, neben anderen, mitwirkt. Lem äussert sich dazu auch in einem Statement in den Selected Letters.
Später wird sich auch Rottensteiner mit dem wohl nicht immer einfachen Lem zerstreiten.
Aufmerksam gemacht werden soll hier noch mal auf die Ausgewählten Briefe von Lem, die im Band Der Widerstand der Materie bei Parthas (2008) gesammelt sind. Enthalten sind immerhin vier Briefe an Dick (aber Rottensteiner ist, aus welchem Grund auch immer, auffällig ausgeklammert). Mit den Selected Letters ergibt sich ein interessantes Bild der Beziehung zwischen diesen beiden bekannten Autoren. Die bibliographischen Details finden sich auf der Seite Dick und Lem (und Rottensteiner) in diesem Blog. Die deutschen Quellen lassen sich mehr oder (viel) weniger leicht finden. Die verschiedenen Essay-Bände von Suhrkamp bzw. Insel finden sich natürlich leicht, gut erhalten und sehr bezahlbar – wie immer bei Suhrkamp-Bänden dieser Jahre muss man darauf achten, Remittenden zu vermeiden. Sehr schwer bis nahezu unfindbar dagegen ist der Quarber Merkur 29 mit den deutschen Erstausgaben der beiden Essays von Dick zu finden, diesen sollte man ggf. in jeder Erhaltung erwerben, wenn man die Gelegenheit hat: Man wird keine weitere Chance bekommen.

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