Samstag, 10. Oktober 2020

Dialoge der Vergangenheit

Ich konnte kürzlich wieder ein paar Szene-Zeitschriften und Fanzines erwerben, die zeitgenössische Kritiken von Dicks Werk enthalten. Ich finde es sehr interessant zu sehen, wie sich das Bild von Philip K. Dick entwickelt hat, speziell in Deutschland. Und am Anfang wurde Dick überwiegend in der Science Fiction Szene wahrgenommen.
Eine Zeitschrift von 1991
Andromeda 91 von 1979
Andromeda Science Fiction Magazin Nr. 91 vom August 1979, enthält eine Kritik von Alfred Vejchar zur deutschen Erstausgabe von Eine andere Welt bei Heyne (1977). Vejchar kritisiert heftig den Roman, aber auch den wehleidigen Neurotiker Dick. Das Wort Neurose fällt in diesem Artikel überhaupt sehr oft in seinen verschiedenen Formen: neurotisch, Neurotiker, Neurose. Vejchar hat da offenbar ein sehr gefestigtes Bild. Und was er da sieht, gefällt ihm gar nicht. Er wünscht sich von Dick statt dessen wieder Romane wie Und die Erde steht still und Hauptgewinn: Die Erde zurück, als er Dick noch mögen konnte. Seine Kritiken zu diesen beiden frühen Romanen finden sich in früheren Ausgaben von Andromeda (80 bzw. 82).
Ich war recht unglücklich mit dieser Kritik. Natürlich ist es leicht auf die Vergangenheit zurückzublicken, mit dem heutigen Wissen, dass Eine andere Welt zu den besseren Romanen von Dick gehört (und Hauptgewinn: Die Erde eher nicht). Und natürlich sollte jeder seine eigene Meinung haben, auch und vielleicht sogar insbesondere ein Kritiker. Allerdings erwartet man von einer guten Kritik eine umfassende Behandlung des Themas, die einem bei der Entscheidung helfen kann, ein Buch selbst lesen zu wollen und keine Autorenbeschimpfung. Diese Frage nun, lesen oder nicht lesen, hat die Zeit wohl eindeutig positiv beantwortet: Egal, was man von dem Buch halten mag, es ist eines der wichtiges Werke von Dick, das man lesen sollte, vielleicht das politischste.
Vejchar aber lehnt das Bild der USA als eine Polizeistaat gänzlich ab, auch in einem Science Fiction Roman. Er relativiert aktuelle Ereignisse, "Übergriffe einzelner Polizisten, … mutmasslich", von denen er meint, sie würden Dicks Sicht der Dinge nicht unterstützen können (ein Muster, das man auch bei aktuellen Ereignissen noch zu sehen meint). Nixon und Watergate, auf die sich Eine andere Welt recht direkt bezieht, erwähnt er aber gar nicht. (Und das geht natürlich gar nicht, sorry.) Und die phantastische Droge KR-3 unglaubwürdig zu nennen und damit den schriftstellerischen Gipfel der Freiheit überschritten zu haben (was soll das eigentlich bedeuten), ist bei einem Science Fiction Roman auch eher ungewöhnlich. Man muss sich wundern, was Herrn Vejchar hier getrieben hat, man sieht ihn förmlich mit Schaum vor dem Mund an seiner Schreibmaschine (es ist 1979!) sitzen.
Munich Round, ein Fanzine
Munich Round Up 153
Etwas Aufklärung bringt dann ein kleiner Artikel im Munich Round Up 153 von Waldemar Kumming, eine Rezension zur Science Fiction Times (SFT) vom Juni 1982, die ich gleichzeitig erworben habe. Diese SFT 6/82 ist, kurz nach seinem Tod, gänzlich Philip K. Dick gewidmet. Eigentlich also nur die Rezension einer Ausgabe der SFT über Dick, aber hier wird eine Fussnote aufgenommen, die Vejchars oben geschilderte Kritik angreift – recht grob, wie man sagen muss. Kumming bittet um weniger Schmutzkübel in der Diskussion, eine gewisse Sympathie gegenüber Anton und Hahn kann man aber erkennen. Erkennen kann man wohl auch, dass es hier um politische Grundeinstellungen geht, die mehr-oder-noch-mehr Linke, die man in der Science Fiction Times finden kann und eine andere Seite, die recht dogmatisch auf alles scheinbar Linke reagiert – und das war seinerzeit jeder Angriff auf den Bündnispartner USA. In der Mitte finden wir Dick, der sich in einem phantastischen Roman einen Polizeistaat vorstellt und von dieser Vorstellung fühlt sich der eine, Vejchar, angegriffen und der andere, Hahn, ist unglücklich, weil er zu wenig Kommunismus in diesem Roman findet.
Wie soll man Dick nun politisch einordnen? Einerseits denunziert er Kollegen als kommunistische Spione, andererseits warnt er vor Faschismus und Nationalsozialismus. Vielleicht hält er nichts davon, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben und sieht die Lösung weder ganz recht noch ganz links (sondern hat erkannt, dass das politische Spektrum ein Kreis ist, wo sich ganz links und ganz rechts treffen und das Gegenteil von Faschismus nicht Kommunismus ist, sondern eine freiheitliche demokratische Grundordnung … aber das ist wohl eine andere Diskussion).
Tatsächlich sind solche kleinen Geschichten, wie der Diskurs von Vechjar und der SFT, und auch ein Grund, dass sich in meiner Sammlung viele zeitgenössische Rezensionen finden.
Leider ist es schwer diese Fanzines zu finden. Das Andromeda Science Fiction Magazin und auch Munich Round Up werden allerdings leidlich gehandelt, gerade bei letzterem muss man aber beherzt zugreifen. Man muss aber zwischen dem Andromeda Science Fiction Magazin (das wohl anfänglich nur Andromeda hiess) und den Andromeda Nachrichten unterscheiden. Beide werden noch immer vom Science Fiction Club Deutschland (SFCD) herausgebracht.

Preise

"Munich Round Up", 5 bis 50 Euro
"Andromeda SF Magazin", 2 bis 20 Euro

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