Frust. Wie soll man es sonst erklären? Oder Langeweile? Als Sammler versucht man eine Leere zu füllen, heisst es, was natürlich nicht gelingen kann. Oder es war doch nur Frust, die Gesamtsituation halt. Oder eine ungesunde Kombination aus allem? Jetzt ist er da, mein Nacht-Frust-Kauf: ein ungewöhnliches Stück für die Sammlung – eine Sammelkarte! Was macht eine Sammelkarte in der Sammlung?
U.S.S. Panay Sinks as Crew Abandons Ship heisst das Bildchen, Nummer 54 von 288 aus der Serie Horrors of War. Verkauft mit einer Packung Kaufgummi werden die Karten Bubblegum Cards genannt. (In Deutschland gab es, mangels Kaugummi, Sammelkarten mit Zigarren und Zigaretten.)
Die Horrors of War Reihe ist von 1938 und gehören mit einer Auflage von 100 Millionen zu den beliebteren ihrer Art. Bunt und eindringlich zeigen sie die Schrecken des Krieges, überwiegend des Spanischen Bürgerkrieges, des Abessinienkriegs und des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges, in einer Ergänzung erscheint auch schon Hitler. Die dargestellten Kriege dauern zum Erscheinungsdatum noch an und müssen deshalb noch eindringlicher gewirkt haben. Erhalten hat man die Bilder mit Kaugummi, die Zielgruppe waren also wohl vorwiegend Kinder; ob Friedenserziehung so funktioniert, bleibt fraglich.
Diese spezielle Karte nun erzählt als letzte von vier vom Panay-Vorfall, der Versenkung eines amerikanischen Flusskanonenbootes auf den Jangtsekiang durch japanische Streitkräfte am 12. Dezember 1937. Es gab drei Tote. Laut den
Gerichtsakten wurde das Schiff bei der Stadt Chizhou (
Google Maps) versenkt, 100 km flussaufwärts von Nanking.
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Horrors of War Sammelkarte U.S.S. Panay Sinks as Crew Abandons Ship von 1938 |
Die Amerikaner waren im Japanisch-Chinesischen Krieg neutral, man war in Nanking um Amerikaner und Europäer zu evakuieren (aber ganz allgemein auch schon länger, um „Interessen zu vertreten“). Nanking wurde in diesen Tagen von den Japanern erobert und es folgte ein grauenvolles Massaker, dessen Ereignisse auch im Film
John Rabe (2009) geschildert werden. Die Versenkung war also eigentlich ein Versehen, Japan entschuldigte sich, sie gilt aber als Vorzeichen für den Angriff auf Pearl Harbor vier Jahre später.
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Rückseite der Sammelkarte Nummer 54, in sehr mässiger Erhaltung |
In Japans sind diese in den USA sehr populären Karten, die japanische Gräueltaten schildern, damals auf wenig Gegenliebe gestossen. Man verlangte in einer diplomatischen Note an das US-amerikanische Aussenministerium vergeblich die Einstellung der Serie und zwang dem Hersteller der Serie, Gum, Inc., schliesslich seine japanischen Fabriken zu schliessen. Die Serie wurde die erfolgreichste ihrer Art und hat das amerikanisch-japanische Verhältnis letztlich weniger belastet als der Angriff auf Pearl Harbor.
Man muss vermuten, dass Philip K. Dick diese Karte aus seiner Jugend kannte, er war als zehnjährier Junge genau die Zielgruppe von Sammelkarten in Kaugummischachtel. Die sogenannten war cards waren ihm also wohl bekannt. Und in seinem Roman Das Orakel vom Berge können wir dann über genau diese Karte lesen (Seite 38–39 der Ausgabe von Heyne, 2008):
»Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen«, hatte der Major gesagt. »Wissen Sie, was mit Schrecken-des-Krieges-Karten gemeint ist?« Er beäugte Childan voller Gier.
Childan durchforschte sein Gedächtnis, dann fiel es ihm ein. Die Karten waren in seiner Kindheit zusammen mit Kaugummi verkauft worden. Für einen Cent pro Stück. Es hatte eine ganze Serie gegeben, und jede Karte hatte einen anderen Schrecken dargestellt.
»Ein guter Freund von mir«, fuhr der Major fort, »sammelt die ›Schrecken des Krieges‹. Eine Karte fehlt ihm aber noch. Der Untergang der Panay. Er bietet eine große Geldsumme für diese spezielle Karte.«
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Horrors of War: Nummern 9, 40, 53 |
Und natürlich ist die Karte, in der Amerikaner von Japanern angegriffen werden, in einem Roman, in der die Vereinigten Staaten von Japan besetzt sind, nicht zufällig gewählt.
Erfahren habe ich von diesen Karten im
Blog vom Total Dick-Head David Gill (jeder Eintrag dort ist unbedingt lesenswert und Pflicht für den interessierten PKD-Fan!). Seit ich die Sammelkarte dort gesehen habe, wollte ich sie haben. Sie passt nicht in die Sammlung, deshalb konnte ich bis zu einem schwachen Moment in tiefer Nacht widerstehen.
Es gibt drei weitere Karten zum Panay-Vorfall, bei denen es um den Angriff, aber nicht direkt um das Versenken der Panay geht – darum ist (für mich) die Nummer 54 die Karte, um die es im Roman geht. Dick hat aber vermutlich aus der Erinnerung geschrieben und möglicherweise keine ganz konkrete Erinnerung an die Karten gehabt, also ist diese Bewertung wohl willkürlich. Aber vielleicht hatte er die Karte in der Hand als er geschrieben hat … aber das ist eine zu romantische Vorstellung.
Die anderen Karten, der Vollständigkeit halber, sind
- U.S.S. Panay is Attacked by the Japanese
- Panay Machine Gunners Fight Back
- Bomb Wounds the Panay Commander
Erfischen kann man die Karten natürlich, aber günstiger ist der Kauf bei COMC, einem Händler, der auf Provision verkauft – vor allem aber freundliche Portokosten anbietet (der Versand hat dann auch sieben Wochen gedauert, aber das lag vielleicht an Pech, Pest und Pannen). Es war meine erste Wahl, meine buchstäblich erste Wahl bei einem Thema, über das ich wenig weiss. Caveat emptor! Und natürlich geht es bei den Karten um Erhaltung und Seltenheit (die späteren Karten sind wohl seltener) und es gibt Varianten … und ungeöffnete Tütchen, im Dutzend für nur USD 52.000. Sammler!
Eine Liste aller Horrors of War Karten mit Bild findet sich u. a. hier im Netz. Wer mehr über Sammelkarten lesen möchte, kann in Dean's Blog darüber lesen und dort auch gleich kaufen. Und zum Panay-Vorfall gibt es hier etwas bei Wikipedia und eine dem Vorfall gewidmeten Seite.
Preise
"Horrors of War" Karten, überwiegend zwischen 5 und 50 Dollar zuzüglich Porto. Komplett (288 Stück) um 5.000 USD.
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