Samstag, 6. Februar 2021

Weggeflogen

Manchmal hat man ja auch Glück und rechtzeitig zugegriffen. 
The Owl in Daylight von Tessa Dick mit
dem späteren roten Umschlagbild
Ich halte nicht viel von Selbstpublikationen, es gibt zahllose gemeinfreie Ausgaben, die bei Amazons CreateSpace (so hiess es früher) oder ähnlichem herausgekommen sind und auch einiges von Menschen, die sich berufen fühlen, über Philip K. Dick zu schreiben – oder zumindest seinen Namen zu verwenden, um ihr Geschriebenes zu verkaufen. Aber es gibt für mich ein paar Ausnahmen, wenn nämlich ausgewiesene Kenner von Dick schreiben. Und seine Familie kann man sicher diesen Kreis zurechnen.
Ich hatte bereits vor längerer Zeit über die literarischen Beiträge von Dicks Ehefrauen geschrieben. Anne R. Dick, um deren bemerkenswerte Biographie es damals hauptsächlich ging, ist 2017 verstorben. Tessa B. Dick, die letzte Ehefrau, hatte seinerzeit eine Handvoll Veröffentlichungen bei CreateSpace, seither sind drei weitere Büchlein dazugekommen. Vor kurzem war erst das etwas trockene More on the Exegesis of Philip K. Dick, einer Art Vorversion eines geplanten umfassenderen Werkes.
Erwähnenswert für den Sammler ist aber The Owl in Daylight von 2009. Der Titel dieses Buchs von Tessa Dick ist der Titel eines Buches, an dem Philip K. Dick vor seinem Tod gearbeitet hat. Es gibt einigen Bemerkungen in Briefen und gut dokumentierten mündlichen Aussagen dazu, die aber nicht klar erkennen lassen, worum es gehen sollte. Dick hat offenbar in seiner ihm üblichen Art mit Gedanken gespielt und diese im Gespräch ausprobiert. Es gibt aber kein Manuskript und man kann vermuten, dass das Buch, das herausgekommen wäre, anders ausgesehen hätte, als man es aus seinen Äusserungen vorher hätte vermuten können; so haben seine Freunde das bei vorigen Arbeiten erlebt.
Tessa Dick nun musste ihren gleichnamigen Roman auf Druck des berüchtigten Trusts, der die Rechte an den Werken von Philip K. Dick besitzt, noch innerhalb eines Jahres zurückziehen. Bemerkenswert, weil der Trust aus den drei Kindern von Dick besteht, ausser Laura und Isa auch Tessas Sohn Christopher. Bemerkenswert auch, weil das Buch keinen Grund für ein solches Verhalten erkennen lässt. Man muss vermuten, dass der Trust eine diffuse Angst um unklare Rechte hatte. Bemerkenswert auch, weil sich der Trust eigentlich um Gedrucktes wenig kümmert.
Für den Sammler bedeutet das auf jeden Fall, dass Tessas Owl in the Daylight jetzt ein seltenes Sammlerstück ist, von dem es sogar zwei bestätigte Varianten gibt: ursprünglich hatte das Buch ein blaues Cover mit der Zeichnung einer Eule, auf späteren Ausgaben sieht man eine rot gefärbte Landschaft, schemenhaft überlagert von einer Eule.
Letztere Ausgabe befindet sich in der Sammlung, ein grosses Glück, wird es doch mittlerweile zu (absurd) hohen Preisen gehandelt. Gerüchteweise wurde das Buch später unter anderem Titel und unter bezauberndem Pseudonym noch einmal veröffentlicht, aber auch diese Ausgabe ist schon lange nicht mehr erhältlich.
Die Annahme, dass über Print-on-Demand bei Amazon veröffentlichte Bücher praktisch für immer verfügbar sind, stimmt absolut nicht. Man kann annehmen, dass die Auflagen bei den betrachteten Werken gering sind und ihr Erscheinen hängt von der Person des Herausgebers ab. Ob solche Bücher jemals teuer werden, ist aber eine andere Frage – für die hier schon diskutierten gemeinfreien Ausgaben von Dicks Kurzgeschichten glaube ich das nicht, auch wenn sie wohl überwiegend enorm selten sein dürften.
Tessa Dicks neueste Publikation
Man muss auch erwähnen, dass einige andere Bücher von Tessa inzwischen nicht mehr erhältlich sind, so The Dim Reflection of Philip K. Dick von 2008 (die mir entgangen sind) oder die beiden Firebright-Bände Remembering Firebright (2009) und Firebright and the Edge of Reality (2011). Teilweise handelt es sich dabei aber um Vorversionen, ähnlich dem aktuellen More on the Exegesis by Philip K. Dick, die durch die später erschienene definitive Ausgabe ersetzt sind. Diese Ausgaben erreichen derzeit aber nicht die Aufmerksamkeit (und nicht ganz die Preise), die die Owl in Daylight hat – schliesslich geht es um den heilige Gral des Philip K. Dick, den grossen (allerdings ungeschriebenen) letzten Roman. Da hat selbst die Version seiner Ex-Frau grössere Aufmerksamkeit als ihre persönlichen Erinnerungen an ihn.
Eines ihrer späteren und wohl auch besseren (und unbedingt lesenswerten) Bücher, Conversations with Philip K. Dick, ist sogar ins Italienische übersetzt.
Kaufen muss man alle Ausgaben bei Amazon, soweit sie neu erhältlich sind. Sie sind günstig, sie müssen auch nicht über die Portomauer, weil in Deutschland bestellbar. Und sie sind doch lesenswert, wenn auch von wechselnder Qualität und das Geld ist an Tessa Dick nicht verschwendet. Man sollte aber immer schnell zugreifen, weiss man doch nicht, wie lange eine Ausgabe erhältlich ist. Also bei More on the Exegesis zugreifen – die Chance auf eine zukünftige Rarität besteht! Beim Kauf antiquarischen Ausgaben muss man aufmerksam sein, welche Variante eines Buches man erwischt. Aber mit Dick haben sie alle genug zu tun, um sie mit gutem Gewissen in die Sammlung aufzunehmen.
Nachlesen kann (und sollte) man über Tessa Dicks The Owl in Daylight auch im Blog von Schrifsteller und Sammler Guy Salvidge, dort findet sich auch sonst viel Feines von Dick und überhaupt Lesenswertes für den Sammler.
Eine Bibliographie der Veröffentlichungen der Familie von Philip K. Dick findet sich hier im Blog.

Preise

Tessa B. Dick: "More on the Exegesis of Philip K. Dick: A Work in Progress", ISBN 979-858213614-9, neu für 5,28 Euro bei Amazon.de
Tessa Dick: "The Owl in Daylight: Things are not as they appear", ISBN 978-1-44143581-1, antiquarisch 350-600 Euro

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