Im September 1942 muss der 13-Jährige Philip K. Dick Berkeley verlassen.
Seine Mutter Dorothy hat ihn in ein Internat geschickt, in die
California Preparatory School in Ojai (ausgesprochen:
O-hei). Dort wird er sein achtes Schuljahr verbringen, zunächst
überwiegend unglücklich.
Ojai Valley liegt 350 Meilen südlich von Berkeley, in den
Bergen, nördlich von Los Angeles. 1847 hatten die Bewohner beschlossen,
die dort neu geplante Stadt Nordhoff zu nennen, nach dem
Reisejournalisten Charles Nordhoff, der – angeblich – Ojai Valley in
einem seiner Artikel positiv erwähnt hatte. In
dieser Realität konnte jener namensgebende Artikel nie gefunden
werden und Nordhoff hat die Gegend wohl erst besucht, nachdem die Stadt mit
seinem Namen gegründet war.
1903 wird das Foothills Hotel gebaut, eines der renommierten Hotels
der Gegend für Reisende, die auch durch Nordhoffs schwärmende Berichte
über das südliche Kalifornien in grosser Zahl angezogen werden. Aber schon früh,
ab etwa 1894, wächst der Wunsch, die Stadt umzubenennen und 1917 passiert dies auch
– möglicherweise angefeuert durch die Ressentiments einem deutschen Namen
gegenüber: man war 1917 im Krieg mit dem deutschen Kaiser. Ähnliche
Namensänderungen passierten aus diesem Grund andernorts in den USA.
Vielleicht waren aber auch nur die Zweifel an Nordhoffs Wirken genug
gewachsen.
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Das Hauptgebäude der California Preparatory School. Dick hat aber mutmasslich nicht in diesem Hauptgebäude gewohnt, sondern eher in einem der zugehörigen Häuser bzw. cottages |
Philip K. Dick ist 1942 Schüler des ersten Jahrgangs der Schule an diesem
Ort. Gegründet ist sie als Pasadena Military Academy: Der didaktische
Auftrag ist vorgegeben, harte Arbeit wird als Arbeitsethos explizit
erwähnt. Fatalerweise erzwang der Krieg den Umzug von Covina, wohin die
Pasadena Military Academy 1926 umgezogen war und dabei bereits den
Namen gewechselt hatte, nach Ojai: Nach dem Kriegseintritt der USA im
Dezember 1941 gab es auf dem amerikanischen Festland und insbesondere dem
Stadtgebiet von Los Angeles, zu dem Covina gehört, eine hysterische Angst
vor japanischen Angriffen. Im Februar 1942 hatte es schon „die Schlacht um
Los Angeles“ gegeben, eine gewaltige Schiesserei auf einen abgetriebenen
Wetterballon mit fünf Todesopfern auf amerikanischer Seite und gänzlich ohne
japanische Beteiligung (ironisch übertrieben verfilmt von Stephen Spielberg
als Komödie unter dem Titel 1941 – Wo bitte geht’s nach Hollywood).
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Ojai heute ... oder zumindest nicht weit entfernt |
Ein Beispiel:
Sutin hat in seiner Biographie Divine Invasions keine zwei Seiten zu Ojai und zitiert hauptsächlich aus
Briefen, die man in den
Selected Letters of Philip K. Dick 1938–1971 nachlesen
kann.
[TO DOROTHY K. DICK] September 30, 1942
Dear Mom,
[...]
I sold my Tschkowsky’s (sic) 5th for $3.00 to a boy.
I have decided to stay here. I might come home in February, but I don’t think so.
Please send me: 2 white shirts, 3 colored long sleeved shirts; 1 package of
Greythorn needles. No nail cutter; I found mine.
I have very little time to write.
I wish you would write Dr. Brush and have me excused from Gym.
Have everyone write. We look forward to the mail eagerly.
Please send music-books!
The school gives me, and everyone else, their allowance each week. 50¢ for me. They may send you a bill, I don’t know.
Love,Aus den Selected Letter 1938–1971. Die erwähnten Greythorn needles sind Tonabnehmer-Nadeln für ein Grammophon.
Philip
Die Biographen
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Lawren Sutins Biographie, ein Standardwerk |
Der erste Band der Selected Letters startet mit dem Faksimile des
„Abschiedsbriefs“ vom Schuldirektor Murray Peabody Brush an Dorothy vom September 1943; Philip hatte nach einem Jahr genug von
der Schule und seine Mutter dazu gebracht, ihn abzumelden (Anmerkung: Der letzte Brief in diesem ersten Band der
Selected Letters ist an Franz Rottensteiner gerichtet bezüglich Stanislaw
Lems folgenreichen Artikel
Science Fiction - A Hopeless Case, With Exceptions, mehr dazu
hier im Blog.)
Rickman hat offenbar Zugriff auf mehr Material, er zitiert
Details, die sich in den Selected Letters nicht finden.
Tatsächlich bilden die Briefe die beste Quelle, um sich ein Bild von
seinem Leben im Internat zu machen. Philip nutzt seine Briefe aber geschickt, um
den von ihm gewollten Eindruck (meist: leidend) zu schaffen: sein Spiel
mit der Realität beginnt früh.
Rickmans Fazit über die Zeit in Ojai ist, dass Dick dort wohl nicht
glücklich war, er aber schliesslich mehr (gesunden) Abstand von seiner
Mutter gewonnen hat. Das findet sich in Rickmans Biografie
To The High Castle – Philip K. Dick: A Life 1928–1962, Valentine Press (1989). Dieses Buch ist ein must-read
zum Leben (und damit zum Werk) von Philip K. Dick, es sollte ergänzend
zu Sutin gelesen werden, dem ich allerdings Vorrang geben würde. Der
zweite Teil von Rickmans Biographie über die letzten zwanzig Jahre von
Dicks Leben, ist leider nie („noch nicht“ kann man wohl nicht mehr sagen)
erschienen.
Dick hat viele Eindrücke der Zeit in Ojai in seinem
Mainstream-Roman Puttering About in a Small Land, auf
Deutsch erschienen als Unterwegs in einem kleinen Land bei
Liebeskind (2010), verarbeitet; zu Ojai in Dicks Werk allgemein soll (und wird! wirklich!) ein separater Eintrag in diesem Blog folgen.
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Rückseite der oben gezeigten Postkarte mit dem Text California Preparatory School |
Für den Sammler bleiben von Dicks Zeit in Ojai Bilder seiner
Schule. Das Foothills Hotel war ein populäres Motiv von Postkarten der
Zeit, eine einzige Postkarte aus der Zeit als Schule konnte ich
entdecken und der Sammlung hinzufügen.
Aus der Zeit des erstens Hotels, etwa 1910, findet sich eine Postkarte des Hotels Made in Germany – soweit war die Globalisierung schon
damals.
Ein bisschen mehr
von der Gegend um das Hotel zeigt diese Postkarte, ebenfalls aus der Zeit des ersten Hotels.
Ojai ist heute eine Schlafstadt für wohlhabendere Bürger. Nach dem
Abriss der Schule 1976 wurde an der Adresse
1250 Foothill Rd, Ojai, CA 93023, ein neues Haus gebaut. Das Haus
war von 2012 bis 2016 im Besitz der Schauspielerin Emily Blunt, die 2011
die weibliche Hauptrolle im Film Der Plan gespielt hat
(vielleicht hat sie den Kaufpreis von über 2 Millionen Dollar mit dem
Geld vom Film finanziert). Der Film basiert auf Dicks Kurzgeschichte
Umstellungsteam [Adjustment Team]. Ob Blunt von diesem Zusammenhang wusste, bleibt unbekannt.
Webtipps
Etwas mehr findet sich über Ojai im Netz, über den Brand des Hotels und die Umbenennung der Ortschaft,
Preise
Gregg Rickman: "To the High Castle, Philip K. Dick: A Life, 1928–1962". Valentine Press (1989) bei 70 Euro plus Versandkosten.
Postkarten von Ojai liegen bei $10 zuzüglich (oft sehr geringer) Versandkosten
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