Samstag, 13. September 2025

Mehr Whodunit

Drei rote Reclamhefte
Fremdsprachentexte von Reclam in drei Ausgaben – mit Umschlagillustration: von wem?
In diesem Blogeintrag (nach Whodunit im vorigen Eintrag) setzt sich die Jagd auf den Künstler fort: Auch für Reclams Fremdsprachentexte fehlt der Illustrator. Einige Ausgaben der  Science Fiction Stories I und der darauf folgenden Classic Science Fiction Stories verwenden eine Umschlagillustration, ein Raumschiff, das einige Aliens hinter sich herzieht. Der Verlag gibt in den Heften keine Informationen zum Urheber (da hätten wir mehr von Reclam erwartet!). Wer war es?
Wonder Stories September 1931
Ich hatte wenig Hoffnung, hier zu einem Ergebnis zu kommen. Dieser Fund war dann auch nicht das Ergebnis von Geschick, Wissen oder Fleiss, sondern am ehesten von Geduld, man klickt ja eh viele Links – und natürlich viel Glück.
Gestolpert bin ich in einem sozialen Medium über das Cover von Wonder Stories vom September 1931. Auf den zweiten Blick fällt eine frappierende Ähnlichkeit mit der Reclam-Illustration auf. Eine genauere Untersuchung zeigt aber auch deutliche Unterschiede. Die Ähnlichkeit ist aber doch zu gross, um Zufall zu sein. Also stellt sich die Frage: Findet sich eine Spur zum gesuchten Bild? Wer ist hier der Künstler?
Und ein Blick ins Heft beantwortet die Frage nicht sofort: Es gibt keine direkte Angabe, wer das Cover gestaltet hat, aber eine weitere Spur findet sich: Im Inhaltsverzeichnis finden wir:
ON THE COVER this month from J. Harvey Haggard’s “An Adventure of Eros” we find the horrified men in the space ship discovering suddenly that an unknown force has shot them away from the planetoid Eros and thus released them from the grip of the frenzied metal men.
Wir blättern also zum Adventure of Eros auf Seite 546 (die Ausgabe beginnt mit der Seite 434: man paginiert über die Bände, diese Ausgabe ist Band 3, Nummer 4) und finden dort sofort die direkte Vorlage für die Reclam-Illustration: Hier gibt es noch etwas Landschaft und ein Raumschiff, ansonsten ist das identisch mit dem, was wir schwarz auf rot auf den Fremdsprachentexten sehen können. Gefunden!
Explizit erwähnt sei hier die illustrierte Kurzgeschichte An Adventure of Eros, geschrieben vom 18-Jährigen J. Harvey Haggard am Anfang seiner Karriere. Diese Kurzgeschichte ist kurz, knapp fünf Seiten, erklärt die Illustration, metallische Wesen, die am Raumschiff unserer Helden hängen, basiert auf dem (meiner Ansicht nach physikalisch falschen Interpretation vom) Effekt elektrischer Anziehung und ist (nach heutigen Massstäben) grauenvoll geschrieben. Trotzdem ist die Geschichte eine dringende Leseempfehlung (hier lesen), ein Muss – sich durch vier Seiten schlechte Prosa zu kämpfen, ist die Pointe absolut wert, insbesondere in diesem Blog.
Eine Doppelseite aus dem Heft, links das startende Raumschiff
An Adventure on Eros in Wonder Stories vom September 1931, illustriert von Paul, ein Screenshot vom unersetzlichen Internet Archive
Unter der Illustration finden wir schliesslich auch den Urheber: „Illustration by Paul“! Und wer dieser „Paul“ überhaupt ist, lässt sich dann leicht in dieser Ausgabe auflösen, laut Impressum ist es Frank R. (Rudolph) Paul, der Art Editor der Zeitschrift.
Wonder Stories ist ein 1929 von Hugo Gernsback gegründetes Pulp-Magazin. Der manchmal Vater der Science Fiction genannte Gernsback hatte vorher mit dem bahnbrechenden Magazin Amazing Stories 1924 das erste reine Science Fiction Magazin gegründet. Paul ist eine Entdeckung von Gernsback, die beiden arbeiten seit 1914 zusammen, die Umschlagbilder von Amazing waren vom Anfang an von ihm und so hat er den Stil der Science Fiction Illustrationen in den 20er Jahren erheblich mitgeprägt. Gernsback hat Paul dann auch für Wonder Stories engagiert: die Illustrationen, insbesondere die Cover haben die Hefte verkauft und waren den Lesern sehr wichtig. In dieser Ausgabe allein sind zwei Leserbriefe, die zeigen, wie wichtig den Lesern die Illustrationen von insbesondere Paul waren, auch wenn die englische Wikipedia ihm eine eingeschränkte Fähigkeit Gesichter abzubilden, insbesondere weibliche bescheinigt. Nun ja. Spezialität des studierten Architekten waren Architektur und grosse Maschinen und Raumschiffe – Frauen hatten in der frühen Science Fiction eh wenig verloren.
Teil einer Seite aus "Wonder Stories", September 1931
Aus dem Impressum von Wonder Stories: der grosse Hugo Gernsback und Art Director Frank R. Paul: Prophetic Fiction is the Mother of Scientific Fact, ein grosses Motto
Frank R. Paul hat einen deutschen Wikipedia-Eintrag, ich konnte aber nur wenige weitere Veröffentlichungen mit Umschlagbildern oder überhaupt Beiträgen von ihm finden: Utopia 492 und Jack Londons Der Feind der Welt, Bastei Lübbe (1983) – vielleicht weiss ein Leser hier mehr: Hinweise sind willkommen.
In jedem Fall konnte eine weitere Umschlagillustration ihrem Schöpfer zugeordnet werden.


Preise

"Wonder Stories", diverse Ausgaben um 1931 liegen, stark abhängig von der Erhaltung, bei 20-150 €, zuzüglich zum (meist erheblichem) Versand


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