Samstag, 1. November 2025

Kein Grund zum Zorn

Ein besonders tragischer Fall von Kürzungen betrifft Dicks Roman Der Gott des Zorns. Es gibt keine ungekürzte deutsche Ausgabe, denn dieser Roman ist ein Single, ist auf Deutsch nur einmal erschienen, es gibt keine Überarbeitung oder Neuübersetzung wie bei vielen anderen  von Dicks frühen Romanen. Wir müssen hier mit der Übersetzung von Rosemarie Hundermarck für die Ausgabe von Bastei Lübbe von 1979 leben.
Carlton Luftteufel, der Gott des Zorns, lässt die Welt explodieren
Deus Irae, so der englische Originaltitel, ist, neben The Ganymede Takeover, auf Deutsch Die Invasoren vom Ganymed, einer von zwei Romanen, den Dick gemeinsam mit einem Kollegen geschrieben hat. Den Vertrag für das Buch mit dem renommierten Verlag Doubleday hatte Dick bereits 1964 geschlossen und auch recht schnell einen kurzen Entwurf geschrieben. Er kam dann nicht recht voran und entschloss sich gemeinsam mit Roger Zelazny weiterzuarbeiten, von dem er speziell Hilfe bei den religiösen Themen erwartet. Zelazny war zu dem Zeitpunkt, 1967, der junge, aufstrebende Stern am Science Fiction Himmel, Dick durchaus der erfolgreiche und etablierte Autor: man erwartete viel von der Zusammenarbeit. Erschienen ist das Buch bei Doubleday dann 1976, als Hardcover, zwölf Jahre nach Vertragsabschluss. Dick war nur mässig glücklich mit dem Ergebnis, gibt sich aber selbst die Schuld dafür.
In Deutschland ist das Buch 1976, also schon kurz nach der englischen Erstausgabe zu lesen. Wie üblich fehlt, einleitend und vorbereitend, die Widmung. Es wird nicht besser.
Als Beispiel sei wieder das 7. Kapitels betrachtet. Der Anfang (119 Wörter) liest sich so:

O Freunde, nicht diese Töne, zitierte er aus der Neunten Symphonie von Beethoven, sondern Verdammt, der Rest fiel ihm nicht mehr ein. Er hustete und spuckte aus.

Vor Räubern fürchtete er sich nicht. Nur die Wildnis machte ihm Angst, vor allem die Möglichkeit, daß sich eine Bodenverwerfung quer über die Straße ziehen konnte. Ein paar tiefe Rinnen, und er konnte mit seinem Karren nicht weiter. Nicht der angenehmste Tod, überlegte er. Aber auch nicht der schlechteste.

Vor ihm blockierten umgestürzte Baumstämme den Weg. Sie wurden von einer schmalen Rampe aus kleinen Steinen und Erde überbrückt. Wäre er zu Fuß oder mit einem Fahrrad unterwegs gewesen … aber er saß auf einem Karren, der für diesen Pfad viel zu klobig war.

Das entsprechende Original ist mit 323 Wörtern deutlich länger:

He did not especially fear cutpurses and highwaymen, partly because no one bothered with the highways … he could rationalize this fear away, telling himself that since no traffic passed this way, how could there be highwaymen?

“O friends!” he declared aloud, translating into English the opening words of Schiller's An die Freunde. “Not these tones! On the contrary, let us sing of –” He paused, having forgotten the rest. God damn it, he said fiercely to himself, baffled by the tricks of his own mind. 

The sun blazed down, hot as minnows skimming in the metallic surf, the tidal rise and fall of reality. He coughed, spat, and continued on.

Over everything, the sensual proximity of decay. Even the wild weeds possessed it, this abandonment. No one cared; no one did anything. O Freunde, he thought. Nicht diese Tone. Sondern …

What if there were highwaymen invisible now, due to mutation? No; impossible. He clung to that. Noted, preserved, and maintained that. He did not have to fear men: only the wilderness threatened him. In particular he feared the real possibility of a rupture in the road. A few wide ruts and his cart would not travel on. He could well die amid boulders. Not the best death, he reflected. And yet, not one of the worst.

The broken limbs of trees blocked the road ahead. He slowed down, squinted in the patterned sunlight, trying to make out what it was.

Trees, he decided. Felled at the start of the war. No one has removed them.

In his cart he coasted up to the first tree. A trail of rough pebbles and dirt led off to one side, skirting the fallen trees; the trail, on the far side, led back to the road. If he had been on foot, or riding a bicycle. . . but instead he rested on a large cart, much too cumbersome to navigate the trail. 

Die Sonne brennt in der Übersetzung nicht, der Absatz über highwaymen invisible ist ganz weggefallen, aus den drei Sätzen zum umgestürzten Baum wird ein kurzer im Deutschen. Kürzungen dieser Art ziehen sich durch das Buch: Es gibt keine Änderungen an der Handlung, es werden keine wirklich handlungsrelevanten Teile weggelassen, aber die Kürzungen ändern den Stil der Geschichte, ändern die Atmosphäre. Bei einer wörtlichen Übersetzung hätte man mit mindestens 20 % mehr deutschem Text gerechnet.
Ein sehr schönes Cover von Les Edwards: Ein Mann vor einer explodieren Erde, alles in Orange
Deus Irae, Sphere Books (1982)
Eigentlich ist man Kürzungen dieser Art in den frühen Übersetzungen gewöhnt. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches hätte man einen durchaus renommierten Autoren wie Dick aber etwas besser behandeln können. Hier aber wurde Dick von Bastei Lübbe – Rosemarie Hundertmarck hatte da sicher harte Vorgaben – in nicht einmal sechs Druckbögen gepresst, 169 Textseiten – der Verlag hatte keine qualitativen Ambitionen, der Reihentitel erklärt es uns: Science Fiction Bestseller eben.
Dafür ist das Umschlagbild von Les Edwards sehr schön. Dieses Bild scheint tatsächlich zum Inhalt zu passen, wir sehen mutmasslich wie Carlton Luftteufel die Welt explodieren lässt. (Tatsächlich ist das Umschlagbild aber ein Doppelgänger von Poul Andersons Roman Shield. Schön und passend ist es trotzdem.)
Es gibt auch eine britische Ausgabe von Deus Irae mit einer Illustration von Edwards, die Ausgabe vom Verlag Sphere von 1982. Dieses Umschlagbild hat meiner Meinung nach wenig mit dem Inhalt zu tun: ein weiblicher, händeverlorener, (es sind halt die 80er, daher:) barbrüstiger Roboter. Das passenste und daher schönste Cover ist für diesen Roman aber wohl das der Erstausgabe, gestaltet von John Cayea, in schwarz-weiss - leider fehlt das Buch (noch) in der Sammlung.
Was macht man nun mit dieser Übersetzung? Dieser Blog beschäftigt sich zwar eher mit dem deutschen Philip K. Dick, die Empfehlung ist aber trotzdem: im Original lesen. Dick schreibt (meist) einfach, ist nicht der grösste Stilist und wer es mag und kann, sollte Dick auf Englisch lesen. Sonst bleiben nur die teilweise arg gekürzten Übersetzungen. Spätere Übersetzungen sind (fast) immer durchaus akzeptabel. Wenn es aber, wie hier, keine Neuübersetzung gibt, muss man zwischen Kürzung und Englisch wählen.
Ein Nachruf auf die 1996 verstorbene Rosemarie Hundertmarck von Arno R. Behrend lässt sich im Internetportal SF-Fan und in Das Science Fiction Jahr 1997, Heyne (1997) nachlesen.
Kaufen kann man den Gott des Zorns leicht und günstig, der Sammler vermeide dabei die häufigen anzutreffenden Remittenden.
Als nächste Übersetzung werden wir uns hier mal Die Invasoren vom Ganymed ansehen, auch diese sind jetzt unter Verdacht, erschienen 1976 als erstes Werk von Dick bei Bastei Lübbe erschienen, übersetzt von Bernhard „Bernt“ Kling.

Eigentlich Fussnötiges

  • Englischer Text (Dell, 1977): 232 Seiten (Text), Kapitel 7: 3883 Wörter (6,1 % der Wörter) auf 13 Seiten (5,6 % der Seiten), 63.000 Wörter.
  • Deutscher Text: 169 Seiten (Text), Kapitel 7: 2474 Wörter auf 8,75 Seiten (5,2 % der Seiten des Gesamttextes) ergibt etwa 47.800 Wörter.
Das siebte Kapitel erscheint also in der deutschen Ausgabe überproportional kurz und mag daher überproportional von Kürzungen betroffen sein, im Ergebnis ändert sich auch dann nichts. Zumal ein Prozentsatz der Kürzung sowieso ganz allgemein nur schwer anzugeben ist.

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