Ein besonders tragischer Fall von
Kürzungen betrifft Dicks Roman Der Gott des Zorns. Es gibt keine
ungekürzte deutsche Ausgabe, denn dieser Roman ist ein Single, ist auf Deutsch nur einmal erschienen, es gibt keine Überarbeitung oder
Neuübersetzung wie bei vielen anderen von Dicks frühen Romanen. Wir müssen hier
mit der Übersetzung von Rosemarie Hundermarck für die Ausgabe von Bastei
Lübbe von 1979 leben.
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Carlton Luftteufel, der Gott des Zorns, lässt die Welt
explodieren
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Deus Irae, so der englische Originaltitel, ist, neben
The Ganymede Takeover,
auf Deutsch
Die Invasoren vom Ganymed, einer von zwei Romanen,
den Dick gemeinsam mit einem Kollegen geschrieben hat. Den Vertrag für das
Buch mit dem renommierten Verlag Doubleday hatte Dick bereits 1964
geschlossen und auch recht schnell einen kurzen Entwurf geschrieben. Er kam
dann nicht recht voran und entschloss sich gemeinsam mit Roger Zelazny
weiterzuarbeiten, von dem er speziell Hilfe bei den religiösen Themen
erwartet. Zelazny war zu dem Zeitpunkt, 1967, der junge, aufstrebende Stern
am Science Fiction Himmel, Dick durchaus der erfolgreiche und etablierte
Autor: man erwartete viel von der Zusammenarbeit. Erschienen ist das Buch
bei Doubleday dann 1976, als Hardcover, zwölf Jahre nach Vertragsabschluss.
Dick war nur mässig glücklich mit dem Ergebnis, gibt sich aber selbst die
Schuld dafür.
In Deutschland ist das Buch 1976, also schon kurz nach der englischen Erstausgabe zu
lesen. Wie üblich fehlt, einleitend und vorbereitend,
die Widmung. Es wird nicht besser.
Als Beispiel sei wieder das 7. Kapitels betrachtet. Der Anfang (119 Wörter)
liest sich so:
O Freunde, nicht diese Töne, zitierte er aus der Neunten Symphonie von
Beethoven, sondern Verdammt, der Rest fiel ihm nicht mehr ein. Er hustete
und spuckte aus.
Vor Räubern fürchtete er sich nicht. Nur die Wildnis machte ihm Angst, vor
allem die Möglichkeit, daß sich eine Bodenverwerfung quer über die Straße
ziehen konnte. Ein paar tiefe Rinnen, und er konnte mit seinem Karren
nicht weiter. Nicht der angenehmste Tod, überlegte er. Aber auch nicht der
schlechteste.
Vor ihm blockierten umgestürzte Baumstämme den Weg. Sie wurden von
einer schmalen Rampe aus kleinen Steinen und Erde überbrückt. Wäre er zu
Fuß oder mit einem Fahrrad unterwegs gewesen … aber er saß auf einem
Karren, der für diesen Pfad viel zu klobig war.
Das entsprechende Original ist mit 323 Wörtern deutlich länger:
He did not especially fear cutpurses and highwaymen, partly because no one
bothered with the highways … he could rationalize this fear away, telling
himself that since no traffic passed this way, how could there be
highwaymen?
“O friends!” he declared aloud, translating into English the opening words
of Schiller's An die Freunde. “Not these tones! On the contrary, let us sing
of –” He paused, having forgotten the rest. God damn it, he said fiercely to
himself, baffled by the tricks of his own mind.
The sun blazed down, hot as minnows skimming in the metallic surf,
the tidal rise and fall of reality. He coughed, spat, and continued on.
Over everything, the sensual proximity of decay. Even the wild weeds
possessed it, this abandonment. No one cared; no one did anything. O
Freunde, he thought. Nicht diese Tone. Sondern …
What if there were highwaymen invisible now, due to mutation? No;
impossible. He clung to that. Noted, preserved, and maintained that. He
did not have to fear men: only the wilderness threatened him. In
particular he feared the real possibility of a rupture in the road. A few
wide ruts and his cart would not travel on. He could well die amid
boulders. Not the best death, he reflected. And yet, not one of the worst.
The broken limbs of trees blocked the road ahead. He slowed down, squinted
in the patterned sunlight, trying to make out what it was.
Trees, he decided. Felled at the start of the war. No one has removed
them.
In his cart he coasted up to the first tree. A trail of rough pebbles and
dirt led off to one side, skirting the fallen trees; the trail, on the far
side, led back to the road. If he had been on foot, or riding a bicycle. .
. but instead he rested on a large cart, much too cumbersome to navigate
the trail.
Die Sonne brennt in der Übersetzung nicht, der Absatz über
highwaymen invisible ist ganz weggefallen, aus den drei Sätzen
zum umgestürzten Baum wird ein kurzer im Deutschen. Kürzungen dieser Art
ziehen sich durch das Buch: Es gibt keine Änderungen an der Handlung, es
werden keine wirklich handlungsrelevanten Teile weggelassen, aber die
Kürzungen ändern den Stil der Geschichte, ändern die Atmosphäre. Bei einer
wörtlichen Übersetzung hätte man mit mindestens 20 % mehr deutschem Text
gerechnet.
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Deus Irae, Sphere Books (1982)
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Eigentlich ist man Kürzungen dieser Art in den frühen Übersetzungen gewöhnt.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches hätte man einen durchaus
renommierten Autoren wie Dick aber etwas besser behandeln können. Hier aber
wurde Dick von Bastei Lübbe – Rosemarie Hundertmarck hatte da sicher
harte Vorgaben – in nicht einmal sechs Druckbögen gepresst, 169
Textseiten – der Verlag hatte keine qualitativen Ambitionen, der Reihentitel
erklärt es uns: Science Fiction Bestseller eben.
Dafür ist das Umschlagbild von Les Edwards sehr schön. Dieses Bild scheint
tatsächlich zum Inhalt zu passen, wir sehen mutmasslich wie Carlton
Luftteufel die Welt explodieren lässt. (Tatsächlich ist das Umschlagbild aber
ein Doppelgänger von Poul Andersons Roman Shield. Schön und passend ist es trotzdem.)
Es gibt auch eine britische Ausgabe von
Deus Irae mit einer Illustration von Edwards, die Ausgabe vom Verlag
Sphere von 1982. Dieses Umschlagbild hat meiner Meinung nach wenig mit dem
Inhalt zu tun: ein weiblicher, händeverlorener, (es sind halt die 80er,
daher:) barbrüstiger Roboter. Das passenste und daher schönste Cover
ist für diesen Roman aber wohl das der Erstausgabe, gestaltet von John
Cayea, in schwarz-weiss - leider fehlt das Buch (noch) in der Sammlung.
Was macht man nun mit dieser Übersetzung? Dieser Blog beschäftigt sich zwar
eher mit dem deutschen Philip K. Dick, die Empfehlung ist aber trotzdem: im
Original lesen. Dick schreibt (meist) einfach, ist nicht der grösste Stilist
und wer es mag und kann, sollte Dick auf Englisch lesen. Sonst bleiben nur
die teilweise arg gekürzten Übersetzungen. Spätere Übersetzungen sind (fast)
immer durchaus akzeptabel. Wenn es aber, wie hier, keine Neuübersetzung
gibt, muss man zwischen Kürzung und Englisch wählen.
Ein Nachruf auf die 1996 verstorbene Rosemarie Hundertmarck von
Arno R. Behrend lässt sich
im Internetportal SF-Fan und in
Das Science Fiction Jahr 1997, Heyne (1997) nachlesen.
Kaufen kann man den Gott des Zorns leicht und günstig, der Sammler
vermeide dabei die häufigen anzutreffenden Remittenden.
Als nächste Übersetzung werden wir uns hier mal
Die Invasoren vom Ganymed ansehen, auch diese sind jetzt unter
Verdacht, erschienen 1976 als erstes Werk von Dick bei Bastei Lübbe
erschienen, übersetzt von Bernhard „Bernt“ Kling.
Eigentlich Fussnötiges
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Englischer Text (Dell, 1977): 232 Seiten (Text), Kapitel 7: 3883
Wörter (6,1 % der Wörter) auf 13 Seiten (5,6 % der Seiten), 63.000
Wörter.
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Deutscher Text: 169 Seiten (Text), Kapitel 7: 2474 Wörter auf 8,75
Seiten (5,2 % der Seiten des Gesamttextes) ergibt etwa 47.800
Wörter.
Das siebte Kapitel erscheint also in der deutschen Ausgabe
überproportional kurz und mag daher überproportional von Kürzungen
betroffen sein, im Ergebnis ändert sich auch dann nichts. Zumal ein
Prozentsatz der Kürzung sowieso ganz allgemein nur schwer anzugeben
ist.
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