Samstag, 14. September 2019

Zeit aus den Fugen - ein Schaupiel

Das Plakat zu Zeit aus den Fugen
Ein Stück von Philip K. Dick im Theater zu sehen, ist natürlich ein ganz neues Erlebnis. Auch wenn es andere Bearbeitungen von Dicks Stoffen für die Bühne gibt, sind sie doch selten. Und die Qualität der Aufführung von Zeit aus den Fugen ist ausserordentlich, so wie man es von einem deutschen Staatstheater auch erwarten kann.
Vor ausverkauftem Haus hatte Zeit aus den Fugen unter der Regie von Laura Linnenbaum am 13. September Uraufführung im Schauspielhaus Hannover, einer der Spielstätten des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover.
Der Text des Stückes von Laura Linnenbaum und der Dramaturgin Johanna Vater hält sich sehr eng an das Original, natürlich gekürzt, aber selbst im Detail so genau am Text, dass sich manchem Zuschauer nun vorher unzugängliche Dinge im Roman erklären. Das Zusammentreffen mit den Kesselmans im einsamen Haus auf dem Hügel bleibt aber auch im Stück rätselhaft (für mich). Erst das Ende weicht deutlich vom Roman ab, es gibt keine Fahrt im LKW und keine merkwürdigsprachigen Zukunftsteenager, Linnenbaum und Vater schneiden Dicks Ende ab und ersetzen es durch ein recht plakatives Ende als Kommentar zur aktuellen politischen Situation.
Der Spielplan für den September mit der
Ankündigung für Zeit aus den Fugen
Schon in der Einführung vor der Aufführung hatte die neue Intendantin des Schauspiels, Sonja Anders, über dieses Stück nach Dick gesprochen und auf den anderen Amerikaner, dessen Namen wir nicht nennen wollen verwiesen, der fake news – und so interpretiert sie Dicks falsche Realität – heute für seine Politik nutzt. Für mich waren Dicks Realitäten immer Bilder für die Suche des Einzelnen und eher kein direkter politischer Kommentar, die von Anders intendierte Deutung (oder Nutzung) ist aber wohl bei kaum einem Roman von Dick so gut möglich, wie bei der Zeit aus den Fugen. Und natürlich ist der Titel ein Zitat von Hamlet, auch hier schliesst sich der Kreis zum Theater (und zu Hamlet sei auf den vorigen Blogeintrag zu Time Out of Joint verwiesen).
Erwähnt sei noch die Figur der Jun(i)e, sie ist Dicks dark haired girl, die aber im Roman keine entscheidende Rolle spielt, ein 19-Jähres naives Mädchen. Sabrina Ceesay spielt sie als 31-Jährige starke Frau, sicher die grösste Änderung an den Figuren – aber sicher eine angemessene Anpassung dieses 60 Jahre alten Textes.
Besondere Erwähnung muss die Musik finden, Elvis Presley hilft uns die 50er Jahre zu erleben. Das Bühnenbild mit der Mauer, die die Realität – letztlich erfolglos – abtrennt, ist eine kluge Idee und die Rückprojektionen darauf sehr wirksam. Die Kostüme und Masken der Schauspieler sind in ein tiefes Grau getaucht, um die falsche Realität zu beschreiben, Farbe bedeutet Echtes –und so wischt sich Raggle am Schluss den grauen Staub vom Körper.
Nach schon 95 Minuten ist das Stück beendet, für mich ein wirklich überwältigende Erfahrung – zumal gemessen an den meist lauen Umsetzung von Dick in Film und Fernsehen. Theater hat eben eine grössere Wirkung, echte Menschen auf einer Bühne sind nicht mit einem Film vergleichbar. Ansehen! Und wer vorher einen Eindruck haben möchte, heutzutage haben auch Theater für ihre Stücke Trailer bei YouTube.
Das Programm zum Stück
Die Aufführungsrechte liegen laut Programm beim S. Fischer Verlag, wohl weil dieser aktuell die Rechte für die aktuelle Neuauflage des Texts besitzt, zu der es auch einen Blogeintrag gibt.
Es gibt noch einiges zu sagen, das wir in einem spätere Blogeintrag folgen.
Für den Sammler bringt eine Theateraufführung einiges: Es gibt eine Karte, man kriegt noch Karten zugeschickt, wenn man das will, und ein sehr schönes Programm mit einigen Texten und Bildern, u. a. einem schönen Text der Dramaturgin, die auch den Text des Stückes mitgeschrieben hat.
Gelegentlich kann man auch den Text des Stückes selbst im Fachhandel kaufen. Es bleibt abzuwarten, ob er erscheint (mir sind die Gepflogenheiten hier unbekannt) – ich werde das im Auge behalten. Trotzdem bleibt das Merchandising um ein Theaterstück begrenzt, das ist aber auch gut so.
Informationen zu den verschiedenen Bearbeitungen von Stücken von und über Dick für die Bühne sind – in einer ersten Fassung – in diesem Blog hier zusammengetragen. Zur seltenen deutschen Erstausgabe von Time Out of Joint unter dem Titel Zeit ohne Grenzen gibt es auch einen Blogeintrag.

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