Samstag, 13. Mai 2023

Komputer!

Die Ausgaben der Romane von Philip K. Dick beim Goldmann Verlag haben keinen guten Ruf. Dafür gibt es gute Gründe, man muss Goldmann trotzdem dafür danken, einige deutsche Erstausgaben herausgegeben zu haben. Häufig kritisiert werden die Übersetzungen und die damit einhergehenden Kürzungen. Dieser Blogeintrag untersucht diese Kürzungen bei Dicks Romans Vulcan's Hammer.
Vulcan's Hammer ist 1960 bei Ace als Double erschienen, es handelt sich um eine Erweiterung einer gleichnamigen Novelle, die in der Zeitschrift Future Science Fiction 1956 veröffentlicht war.
Der „deutscher Erstdruck“, so heisst es ganz richtig auf der Rückseite des Heftes, erfolgte schon 1965 in der Heftromanreihe Terra Utopische Romane im Moewig Verlag; der Übersetzer bleibt hier unerwähnt. 1973 kommt die Neuausgabe für Goldmann: „Aus dem Amerikanischen übertragen von Tony Westermayr. Ungekürzte Ausgabe.“ heisst es im Impressum. 1986 folgt schliesslich die bisher letzte Ausgabe bei Bastei Lübbe, eine Neuübersetzung von Leo P. Kreysfeld.
Die drei deutschen Ausgaben von Philip K. Dicks Vulcan's Hammer (von links): Moewig (1965), Goldmann (1973) und Bastei-Verlag Lübbe (1986)
Betrachtet man nur die Anzahl der Seiten der drei deutschen Ausgaben, so sieht man bereits, dass der Heftroman mit 61 Seiten Text arg gekürzt sein muss – verglichen mit 148 Seiten bei Goldmann und 184 Seiten bei Bastei Lübbe. Die beiden Buchausgaben liegen aber näher beieinander, als es die Seitenanzahlen vermuten lassen.

Betrachtet sei ein typisches Beispiel. Im Original steht da in 64 Worten:

The financial cost of supporting Vulcan 3 was immense. Part of the taxation program conducted by Unity on a worldwide basis existed to maintain the computer. At the latest estimate, Vulcan 3's share of the taxes came to about forty-three percent. 
And the rest, Dill thought idly, goes to schools, for roads, hospitals, fire departments, police – the lesser order of human needs.

Terra kann das in dürren 19 Worten ausdrücken:
Er dachte an die Unterhaltskosten, die der Komputer jährlich verschlang. Über vierzig Prozent des Steueraufkommens wurde von Vulkan-3 geschluckt.
Goldmann braucht 48 Worte:

Die Kosten für Vulkan Drei waren unglaublich hoch. Ein Teil der durch Unity auf weltweiter Basis durchgeführten Besteuerungen floß ausschließlich dem Computer zu, und zwar nach der letzten Berechnung etwa dreiundvierzig Prozent.
Der Rest ist für Schulen und Straßen, Krankenhäuser, Feuerwehr, Polizei, dachte Dill – alles zweitrangige Dinge.
Und Bastei Lübbe immerhin 52 Worte:
Die Kosten für Vulkan 3 waren immens. Ein Teil der durch Eintracht auf weltweiter Basis durchgeführen Besteuerungen diente ausschließlich der Aufrechterhaltung des Computers. Nach den letzten Berechnungen machte Vulkans Anteile etwa dreiundvierzig Prozent aus. 
Der Rest ist für Schulen und Straßen, Krankenhäuser, Feuerwehr, Polizei die unbedeutenderen menschlich Bedürfnisse – dachte Dill beiläufig.

Über den Text von Terra muss man nur die eigentümliche, weil zeitgenössische Schreibweise von Komputer erwähnen. Die beiläufigen Gedanken von Generaldirektor Jason Dill werden ausgelassen, der gesamte Text muss halt auf 61 dicht gesetzte Heftseiten passen. Äuf ähnliche Weise ist der Text durchgehend gekürzt, er kommt nur auf etwa 70% der Wortanzahl der Buchausgaben.
Goldmann und Bastei Lübbe liegen bezüglich der Wortanzahl nahe beieinander. Insgesamt erscheint Kreyfelds Übersetzung runder: „immens“ klingt besser als „unglaublich hoch“ und trifft das originale „immense“ besser, „diente“ passt besser als „floss“, das Adjektiv „idly“ wird von Westermayr ganz ausgelassen. Umfassend gekürzt ist der Roman bei Goldmann aber nicht, Bastei Lübbe ist nur etwa 5% länger, das ist wohl eher Stil als absichtliche Kürzung.
Aber nicht überall ist Kreysfeld besser. Im Original lesen wir im siebten Kapitel in 71 Worten:

“Seventy-five cents, sir,” the attendant said.

To Dill it was the final blow. His position as Managing Director did not exempt him from these annoyances; he had to fish around in his pocket for change. And meanwhile, he thought, the future of our society rests with me. While I dig up seventy-five cents for this idiot.

I ought to let them all get blown to bits. I ought to give up.

Bei Terra in 59 Worten: 

Dill mußte fünfundsiebzig Cents bezahlen und erst in seinen Taschen nach Kleingeld suchen.

Das war demütigend und erschütternd. Ich muß nach Geld suchen und mich mit solchen Kleinigkeiten abplagen, während das Schicksal der menschlichen Gesellschaft auf meinen Schultern ruht, dachte er unruhig. Warum mühe ich mich so ab? Sind die Menschen es überhaupt wert? Ich sollte den Kampf aufgeben."

Bei Goldmann in 67 Worten:

»Fünfundsiebzig Cent, Sir«, sagte er.

Für Dill war das der letzte Tropfen. Seine Stellung als Chefdirektor bewahrte ihn nicht vor diesen Unannehmlichkeiten; er mußte in seiner Tasche nach Kleingeld kramen. Und inzwischen ruht das zukünftige Schicksal unserer Gesellschaft auf meinen Schultern, sagte er sich. Während ich für diesen Trottel fünfundsiebzig Cent zusammensuche.

Ich sollte eigentlich zulassen, daß sie alle in die Luft gesprengt werden. Ich sollte aufgeben.

Und schliesslich bei Bastei Lübbe in 58 Worten:

»Fünfundsiebzig Zehntel, Sir«, sagte er.

Das gab Dill den Rest. Seine Stellung als Generaldirekor bewahrte ihn nicht vor diesen ärgerlichen Belästigungen. Er mußte in seiner Tasche nach Kleingeld kramen. Und währenddessen ruht die Zukunft unserer Gesellschaft auf mir, dachte er. Während ich für diesen Idioten fünfundsiebzig Zehntel zusammensuche.

Ich sollte sie sich selbst hochjagen lassen. Ich sollte aufgeben.

Erste und (vorerst) letzte Originalausgabe
Terra hat nicht wirklich gekürzt, aber umfassend umformuliert – und das (ist) schlecht. Stolpern muss man aber über die „Zehntel“ von Kreysfeld. Liest man nur den letzten Text, so bekommt man den Eindruck, der Autor hat hier eine neue Währung erfunden und das wäre in einem Science Fiction Roman, der in der Zukunft spielt, nicht unerwartet. Dick schreibt aber nichts dergleichen, es gibt keinen Hinweis darauf; die „Zehntel“ sind Kreysfelds Übersetzung von „cents“. Man darf annehmen, dass dem Übersetzer das US-amerikanische Währungssystem wohlbekannt war, vielleicht will er den Eindruck des Fremden durch diese Übersetzung erzeugen. Das Original gibt darauf keinen Hinweis. Das ist nicht gelungen. „Generaldirektor“ und „Idiot“ lesen sich aber besser als Westermayrs „Chefdirektor“ und „Trottel“.
Die Liste der Beispiele liesse sich beliebig erweitern. Insgesamt finden sich beim Textvergleich keine Hinweise für eine Kürzung bei dieser Ausgabe von Bastei Lübbe, auch Goldmann ist hier nicht wirklich gekürzt, vielleicht gelegentlich „knapp“ formuliert. Runder und passender formuliert, wenn auch nicht perfekt, ist wohl Bastei Lübbe. Terra ist gekürzt und schon darum ausser Konkurrenz – Heftromane (alle!) von Dicks Werken sind Sammlerstücke, keine Leseexemplare.
Einige ergänzende Links zumThema hier im Blog:
Philip K. Dick bei Goldmann
Biliographie Dick bei Goldmann
Mariner - Big Box
Bei aller Kritik an Westermayr muss man aber wieder darauf hinweisen, dass die Übersetzer ausserordentlich schlecht bezahlt wurden, es handelt sich halt nicht um literarische Übersetzungen, Westermayr und Kreyfeld mussten für ein angemessenes Einkommen zügig arbeiten. Dicks Texte sind aber sprachlich robust, sie brauchen nicht die Sorgfalt wie sie für Kurt Vonnegut oder gar Thomas Pynchon notwendig sind. Und daher lassen sie sich (mit minimalen Englischkenntnissen) auch problemlos im Original lesen.

Das Kleingedruckte 

Die Analyse oben beruht nicht nur auf den beiden gezeigten Beispielen. Hier sind weitere Details, die die Aussagen möglich machen. 
Für das Original wurde die Ausgabe von Mariner (2012) herangezogen. Mariner hat 163 Seiten Text und 47.500 Worte. Natürlich eignet sich die Anzahl der englischen Worte kaum für einen Vergleich mit der Übersetzung.
Terra hat 61 Seiten mit 31.000 Worten.
Goldmann hat auf 148 Seiten Text 41.400 Worte; dazu kommen 12 Seiten Titelei und (viel) Werbung hinten im Buch. Die 160 Seiten sind glatt durch die magische 32 teilbar (die Anzahl der Seiten auf einem Druckbogen), das senkt die Produktionskosten. Hier wäre also statt der Werbung auch noch für ein paar Seiten Text Platz gewesen, mag man vermuten, Westermayr hat also entweder nicht mehr Platz gebraucht oder schlecht geplant.
Bastei Lübbe hat 184 Seiten Text, aber ein lockeres Layout, die Kapitel beginnen am Anfang der Seite, bei fast jedem Kapitelende ist also etwas Luft. Mit Titelei und Werbung kommt man hier auf 192 Seiten, das sind glatte sechs Druckbögen mit 32 Seiten. Insgesamt kommt man so auf 44.000 Worte.
Für den detaillierten Textvergleich und die Wortzählungen wurde das siebte Kapitel verwendet. Man findet dort 2.800 Worte auf 9 Seiten Text im Original, 1.800 Worte auf 3½ Seiten bei Terra, 2.400 auf 8½ bei Goldmann und 2.560 auf 10 Seiten bei Bastei Lübbe.
Daraus ergibt sich, dass das siebte Kapitel im Original etwa 5,9% vom Gesamttext ausmacht, bei Terra und Goldmann 5,7% und bei Bastei Lübbe 5,4%. Das ist ein starker Beleg dafür, dass dieses Kapitel typisch ist und nicht über- oder unterdurchschnittlich von Kürzungen betroffen ist.

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