Samstag, 30. März 2024

Letters of Note

Mal wieder eine Überraschung, eine kleine Überraschung, aber jede Überraschung ist hier doch eine grosse Überraschung: Ein Stück von Philip K. Dick in einer deutschen Publikation! Fast zehn Jahre hat sich das diesem Blog entzogen, aber irgendwann … kriegen wir sie (fast?) alle.
Ein Buch mit Briefen - das ist Hardcore
Letters of Note - Briefe, die die Welt bedeuten:
manchmal auch für den Fan von Philip K. Dick
Schon 2009 hat Shaun Usher die brillante Idee für einen Blog mit dem Thema Letters of Note – Briefe, die irgendwie erwähnenswert sind. Die Website war sehr erfolgreich, 2013 folgte das erste Buch mit den ersten 125 Briefen bei Canongate Books mit dem (später geänderten) Untertitel Correspondence Deserving of a Wider Audience.
Heyne folgte schon 2014 mit einer deutschen Übersetzung. Und einer dieser ersten 125 Briefe ist von Philip K. Dick: er berichtet Jeff Walker von seiner Begeisterung über den Ausschnitt von Blade Runner, den er in einer Sendung im Fernsehen gesehen hat.
Jeff Walker arbeitete als Marketing Experte für die Produktionsfirma und betreute Dick, der sich vorher sehr negativ über das Filmprojekt geäussert hatte: er sollte den schwierigen Autoren „einfangen“.
Den Brief hat Dick am 11. Oktober 1981 geschrieben. Im November wurde er dann zu einer exklusiven 20-minütigen Vorführung eingeladen, wo er auch Ridley Scott traf. Die Bilder, die Dick dort gesehen hat, haben ihn sehr begeistert und er hat sich überschwänglich darüber geäussert. Dick war dort mit Maer Wilson, die sich in ihrem Buch über Dick auch auch darüber geäussert hat, man kann das im Netz nachlesen – und hier im Blog mehr über Maer Wilson und ihr Buch. 
Die Beziehung von Dick und Blade Runner ist kompliziert – und oft erzählt: Der Roman wurde fast sofort von Hollywood optioniert und weitergereicht. Die ersten Drehbücher hat Dick dann – sehr öffentlich und laut – abgelehnt, sich später verliebt und schliesslich den fertigen Film, der ihn (ein bisschen) reich und berühmt gemacht hätte, vor seinem Tod nicht mehr gesehen. Der Brief fällt in die frühe Phase der Verliebtheit. 
Und der Film ist ein Meisterwerk. Und vermutlich darum hat es dieser Brief auch in die Letters of Note geschafft, nicht Philip K. Dick ist hier interessant, es geht natürlich um Blade Runner, das muss man ganz klar sehen. (Und trotzdem steht Dick nicht im Schatten dieses Films.)
Die deutsche Ausgabe ist sorgfältig gemacht: Man hat eine sehr grosse Zahl von Übersetzern bemüht, 35, und man darf hoffen, dass man damit den unterschiedlichen Texten Rechnung tragen will. Der Brief von Dick ist von Stephan Glietsch übersetzt.
Die Briefe sind weitestgehend im Original zu sehen, es gibt im Buch sogar einen Abschnitt über die darin verwendeten Fonts – man hat sich also durchaus bemüht, ein schönes, umfassendes Buch herauszubringen. Man muss verstehen, dass die Auswahl der Briefe sich vorwiegend an ein britisches Publikum richtet und deshalb finden wir Queen Elizabeth, Iggy Pop und Charles Darwin als Absender und sonst noch viele US-Amerikaner, die meisten davon werden aber auch den deutschen Leser interessieren.
Etwas verwirrend ist die Publikationsgeschichte des Buches bei Heyne: Nach der deutschen Erstausgabe, gebunden (2014) erscheint eine offenbar identische Neuausgabe 2020 mit neuer ISBN und dann 2022 eine Sonderausgabe mit ebenfalls neuer ISBN. Erste und dritte Ausgabe haben 408 Seiten, die zweite, hier gezeigte Ausgabe nur 370. Was fehlt? Ein Vergleichsexemplar fehlt in der Sammlung, der Brief von Dick ist nicht gekürzt … aber die Abdrucknachweise am Ende des Buches passen bei der Sonderausgabe auch nicht zum Buch, die Seitenzahlen sind ganz falsch, man hat die Kürzungen hier nicht eingerechnet; aber wer (ausser buchrechthaberischen Sammlern) guckt sich das an? (Und so läuft's halt, wenn der unbezahlte Praktikant drangesetzt wird, aus dem schönen Buch noch mal 30 Seiten rauszukürzen, um für die Sonderausgabe in der Produktion zu sparen.)
Seltsamerweise ist im Buchhandel derzeit noch die zweite Ausgabe erhältlich aber nicht die letzte. Verwirrend, aber bei diesem Buch nicht wirklich wichtig.
Kaufen kann man Letters of Note antiquarisch allerorten in allen drei Ausgaben in guter Erhaltung für wenig Geld: so ist das bei Büchern, die verkauft werden, um sie zu verschenken: Sie landen in grosser Zahl in bester Erhaltung im Antiquariat. Von der 2022 Sonderausgabe sei hier abgeraten, wenn man die Wahl hat. Neu gibt es die Ausgabe von 2020 noch im Buchhandel, so wie die Fortsetzung More Letters of Note und Letters of Note-Bände zu den Themen Katzen, Krieg, Liebe, Mütter und weitere; eine (ökonomisch) brillante Idee im Zeitalter der Fortsetzungen und Serien. Zumindest dieser erste Band ist aber, das muss man zugestehen, ein page turner: Sehr gut lesbar und spannend – und wenn nicht, ist man schnell beim nächsten Thema. Auch ein Waffelrezept kann spannende Lektüre sein, wenn es von Queen Elisabeth kommt.
Ein bisschen mehr über Walker und Dick kann man bei Vanity Fair nachlesen. Nachlesen kann man den Brief selbst auf der ursprünglichen Website Letters of Note.
Ein Überblick über alle auf deutsch veröffentlichten Briefe von Philip K. Dick findet sich hier im Blog auf der Seite Essays (und anderes), vollständige bibliographische Angaben auf der Seite über Heyne und Dick.

Preise

"Letters of Note", Heyne - in den verschiedenen Ausgaben antiquarisch in sehr gutem Zustand 5 bis 10 Euro; neu in der Ausgabe von 2020 mit ISBN 978-3-453-27311-5 für 35 Euro

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