Samstag, 13. August 2016

Wunder-bar

Manchmal gibt es es noch Wunder. Kleine Wunder vielleicht, aber für den Sammler, der viele Jahre danach gesucht hat, sehr schöne Wunder.
Es gibt einen sehr frühen Aufsatz von Philip K. Dick, der im Original Nazism and the High Castle heisst und erstmalig im Jahre 1964 in der Ausgabe 9 des amerikanischen Fanzines Niekas erschienen ist. Dick setzt sich hier mit dem Thema Nazismus auseinander, ausgelöst offenbar durch eine Diskussion um seinen Roman Das Orakel vom Berge, der im Original 1962 erschienen war. Niekas hat auch noch einige andere Texte von Dick veröffentlicht, ist aber nur sehr schwer zu finden – und zu bezahlen.
Mutant 9, ein Fanzine von 1966 mit dem Essay Nazismus von Philip K. Dick
Tatsächlich ist dieser Text auch sehr früh in einer deutschen Übersetzung erschienen, nämlich auf vier Seiten in der Nummer 9 des deutsch-österreichischen Fanzines Mutant. Der deutsche Titel ist offenbar Nazismus. Man darf vermuten, dass Franz Rottensteiner, einer der Mit-Arbeiter bei Mutant, den Artikel beigesteuert hat, da er sich bereits in den Jahren vorher in seiner Zeitschrift Quarber Merkur mit Dick auseinandergesetzt hat; später hat er (seine) Bücher bei Suhrkamp herausgebracht. Rottensteiner hat den Artikel wohl auch übersetzt; sicher nicht sein grösstes Verdienst.
Später ist der Artikel in The Shifting Realities of Philip K. Dick veröffentlicht und damit kanonisiert worden. Diese Artikel wird sehr oft zitiert, diese einzige deutsche Übersetzung ist allerdings wohl weitgehend unbekannt. Es gibt eigentlich nur einen – mir bekannten – Verweis auf diesen Text, nämlich in Uwe Antons (schwer zu findendem) Philip K. Dick: Entropie und Hoffnung  Texte und Materialien zur phantastischen Literatur (bibliographische Angaben finden sich hier).
Die wohl etwas verunglückte Überschrift von
Nazismus in Mutant 9  zeitgemäss in Handarbeit
Ich habe eigentlich nicht geglaubt dieses 50 Jahre alte Fanzine mit einer Auflage von 200 Exemplaren noch zu finden. Ich war mir ob der schwierigen Quellenlage auch nicht ganz sicher, ob es diesen Artikel überhaupt gab und in welcher Sprache er veröffentlicht war. Nun hat er sich aber in einer der Fallen, die ich gelegt habe, verfangen: Viele Portale für Antiquariate und private Verkäufer von Büchern, auch Booklooker, bieten die Möglichkeit Suchanfragen zu hinterlegen und gelegentlich schlagen diese an. Meistens sind es dann Falschmeldungen, gerade wenn man sehr allgemeine Anfragen hinterlegt, aber oft lohnt es sich bei spannenden Angeboten auch einmal die anderen Angeboten des Anbieters zu prüfen. Und so gelang es mir hier diesen mehr als raren Fund, wenn auch nicht ganz billig, aber eigentlich unbezahlbar, in die Sammlung zu bringen. So seltene Angebote kommen kaum noch einmal, also … muss man zugreifen.
Der Herausgeber dieser Ausgabe ist Conrad C. Schaef, über den sich anderweitig im Internet einiges finden lässt. Das Heft hat stolze 120 Seiten und beschäftigt sich, wie seinerzeit üblich, viel mit dem Fandom und anderen Magazinen ähnlicher Art. Alleine dafür lohnt sich die Lektüre schon. Jedes Magazin dieser Art, das ich in der Hand halte, macht mich, nicht nur als Sammler, besorgt, dass diese ganze Klasse von Veröffentlichungen verschwinden könnte. Die kleine Auflage und das derzeit offenbar geringe Interesse, man findet relativ wenig dazu im Internet, muss einen befürchten lassen, dass viele Exemplare im Altpapier landen und letztlich komplett verschwinden. Und auch der Markt gibt – meistens (dieses Exemplar ist eher eine Ausnahme) – nicht viel her. Es wäre schön, wenn man diese fruchtbare Phase des deutschen Fandoms bewahren könnte.
Zum Abschluss noch ein Blick auf den Artikel: Die Überschrift liest sich wie 'Nazi, – da ist wohl beim Satz etwas verunglückt, aber so ist das eben, als Cut & Paste eben noch buchstäblich Schere und Kleber bedeutet haben. Der Einsatz von Computern für Desktop Publishing war 1966 noch – Science Fiction.

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