Man kann sich vorstellen, dass Dick kurz zuvor das Belegexemplar der
deutschen Ausgabe erhalten und sich damit beschäftigt hatte. Er mag
dem ersten Abschnitt einen besonderen Wert beigemessen haben und sich
daher ausführlicher damit beschäftigt haben. Und offenbar hat ihm
gefallen, was er gelesen hat!
Der von Dick ungenannte deutsche Übersetzer ist
Tony Westermayr, er würde sich gefreut haben. Von diesem
privaten Brief an Zelazny dürfte er aber frühestens 1996 Kenntnis
erhalten haben, als dieser Band der
Selected Letters veröffentlicht wurden – anders als
Dicks recht negative Kritik an der Übersetzung von Ubik, die sehr öffentlich war (und möglicherweise zur Überarbeitung
beigetragen hat).
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Erste und zweite Auflage von
Zehn Jahre nach dem Blitz bei Goldmann (1975 links,
1970 rechts)
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Westermayr hat zehn Romane von Dick übersetzt – das ist ein
deutscher Rekord. Diese Übersetzungen gelten allgemein nicht als die
Besten, das ist aber auch auf die – vom Verlag vorgegebenen –
Kürzungen zurückzuführen. Ausserdem handelt es sich bei den
Goldmann WELTRAUM Taschenbüchern auch nicht um literarische
Übersetzungen: Der Verlag hat bekommen, was er bezahlt hat.
Eine zweite Auflage, mit neuem Umschlagbild von Jürgen F. Rogner, aber
weiterhin in der Westermayr-Übersetzung, ist in der Reihe Goldmann Science Fiction 1975 herausgekommen.
Eine Neuübersetzung ist 1984 im Bastei-Verlag Lübbe erschienen, sie
mag bei einer Betrachtung helfen. Waltraud Götting schreibt
da:
Nebel kann von außen hereintreiben und dich umfangen – er
kann eindringen. Am hohen, breiten Fenster seiner Bibliothek
einem ozymandiesken Bauwerk aus Zementbrocken, die
einst,
in einem anderen Zeitalter, die Auffahrt zur Küstenauto-
bahn
gebildet hatten – war Joseph Adams in Gedanken ver-
sunken und
beobachtete den Nebel, den des Pazifiks. Und weil
der Abend
bereits hereingebrochen war und die Welt sich
verdunkelte,
ängstigte ihn dieser Nebel ebensosehr wie jener
andere Nebel,
der im Innern, der nicht eindrang, sondern sich
regte und
streckte und die leeren Winkel des Körpers füllte.
Gewöhnlich bezeichnet man diesen letzteren Nebel als Ein-
samkeit.
Ein Schlüsselwort in Dicks Text ist die
Ozymandiasian structure. Westermayr übersetzt das mit
bizarrem Gebäude. Götting wählt ozymandiesken Bauwerk. Wirklich gut sind beide Formulierungen nicht.
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Shelleys Grab in Rom
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Ozymandias ist das bekannteste Gedicht vom englischen Dichter
Percy Byshee Shelley, veröffentlicht 1818.
Oyzmandias ist ein
anderer Name für den ägyptischen Pharao
Ramses II. Zu Shellys
Zeiten war Ägypten ein Modethema: Napoleon hatte gerade Ägypten
„besucht“, etwas später entzifferte Champollion die Hieroglyphen.
Das Gedicht endet:
"My name is Ozymandias, king of kings:
Look on my works, ye Mighty, and despair!"
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.
Bei dem Gedicht handelt es sich um Shelleys bekanntestes Gedicht, das
durchaus in der (angelsächsischen) Schule durchgenommen wird – Dick
durfte also hoffen, dass wenigstens ein Teil seiner Leser verstand,
was er meinte: Es geht um überkommene Grösse und zunehmenden Verfall.
Sein Protagonist Joseph Adams sitzt also in den Spuren vergangener
Grösse in einer verfallenden Welt. Dick verlässt sich nicht allein auf
die Schulkenntnis seiner Leser und wiederholt das Motiv:
hunks that had once in another age formed an entrance ramp.
Westermayrs „bizarr“ erfasst diese Bedeutung nicht. Göttings
Wortschöpfung „ozymandiesk“ wirkt etwas verzweifelt, zumal ein
Shelley-Bezug für einen deutschen Leser (von Science Fiction in den
70ern allemal) kaum erschliessbar ist. Eine Entsprechung lässt sich
nicht leicht finden. Dicks Wiederholung mildert das Problem aber auch
für die Übersetzung.
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Die Pyramide des Caius Cestius beim protestantischen
Friedhof in Rom
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Dick selbst betrachtet auch den anderen Schlüsselsatz, der das Thema
des Romans vorgibt:
Usually, that latter fog is called loneliness. Westermayrs
Gewöhnlich nennt man jenen Nebel die Einsamkeit ist
plausibel und Dick ist zufrieden. Götting übersetzt Gewöhnlich bezeichnet man diesen letzteren Nebel als Einsamkeit. Das klingt doch etwas unelegant. Dick kannte Göttings Übersetzung
nicht, ob er genauso zufrieden gewesen wäre, lässt sich nicht sagen.
Und in Rom
Schon zu Cäsars Zeiten gab es eine anhaltende Begeisterung für Ägypten
und so liess sich der Politiker Caius Cestius Epulo eine
Pyramide als Grabmal bauen. Diese steht heute am Rand des
protestantischen Friedhofs von Rom, auf dem der früh gestorbene
Shelley begraben liegt. Ramses hat natürlich nichts mit den Pyramiden
zu tun, er ist 1.300 Jahre nach Cheops und den anderen Bauherren der
grossen Pyramiden gestorben und im Tal der Könige beerdigt. Und der
Römer Cestius ist zeitlich uns näher als den Pyramiden: Die
Pyramiden sind alt.
Bibliographisches: The Penultimate Truth
- 1964 Erstausgabe bei Belmont Books
-
1966 erste Übersetzung, in Italien als
La penultima verità
- 1967 erste britische Ausgabe bei Jonathan Cape
Der Roman
The Penultimate Truth hätte vielleicht eine deutsche
Neuausgabe verdient, auch wenn Dick selbst mit ihm nicht zufrieden
war:
Zehn Jahre nach dem Blitz vom Bastei-Verlag Lübbe von
1984 ist die „aktuelle“ Ausgabe und stammt damit auch fast aus
altägyptischer Zeit. Und so schlecht ist das Buch nicht,
es gibt wahrlich Schlechteres von Dick.
Und es gibt mal wieder einen Web-Tipp: Die Seite mit allen
Covern von Eyke Volkmer, darunter auch das Cover für die deutsche Erstausgabe von
Zehn Jahre nach dem Blitz und einige andere Cover zu Dick ist
immer noch sehr ansehnlich.
Kleingedrucktes
Das Zitat aus dem Brief wurde (wie alle Zitate in diesem Blog)
sanft und willkürlich orthographisch korrigiert und formatiert. Da
die Briefe für die Selected Letters seinerzeit von
Freiwilligen kopiert wurden, sind Kopierfehler bei deutschen
Wörtern wahrscheinlich, Rechtschreibfehler, auch von Dick, kein
Erkenntnisgewinn (aber störend beim Lesen). Nötigenfalls sollte
der interessierte Leser die Texte im „Original“, d. h. in den Selected Letters nachlesen.
Das Wort „ebensosehr“ ist mit der Rechtschreibreform von 1996 nicht mehr korrekt,
war es aber zum Zeitpunkt der Übersetzung – und steht natürlich auch so noch im Buch. Es ist daher im
historischen Kontext unkorrigiert belassen.
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