Samstag, 2. November 2024

Scott Meredith Literary Agency

Gesehen hatte ich es schon einmal, sogar in der Hand gehalten, in Wetzlar. Aber die Möglichkeit ein solches Stück für die Sammlung zu bekommen, hätte ich nicht erwartet: Die Erstausgabe von Philip K. Dicks The Transmigration of Timothy Archer – ungewöhnlich. Aber nicht, weil sonst – wegen der schwierigen Preissituation – nur wenige Hardcover Erstausgaben in der Sammlung sind, sondern weil dieser Band auf dem Vorblatt einen Stempel hat:
Scott Meredith Literary Agency 845 Third Avenue New York, NY 10022
Eigentlich ist ein Stempel im Buch nicht schön für einen Sammler. Und auch bei diesem Stempel mag es unterschiedliche Auffassungen geben. Für mich aber ist er tatsächlich ein grosser Gewinn. Das ist eher keine pekuniäre Wertsteigerung, aber eine ideelle: Dieses Buch war Philip K. Dick ein bisschen näher als andere: Irgendwann, nicht zu lange nach seinem Tod, hat jemand irgendwo, vermutlich bei SMLA in Manhattan, diesen Stempel in dieses Buch hineingedrückt.
Im Englischen gibt es einen Namen für solche Exemplare, die dem Autoren oder jemanden, der mit dem Buch anderweitig verbunden ist, gehört haben: association copy. Ein Exemplar der Agentur zählt sicher dazu. Ein deutsches Äquivalent dieser Kategorie gibt es meiner Kenntnis nach nicht, aber natürlich gibt es solche Exemplare, die dem Autoren oder Verleger nahe waren.
Eine Erstausgabe in mässiger Erhaltung mit einem Gimmick ...
Meine von keinen weiteren Erkenntnissen gestützte Vermutung ist es, dass man dieses Buch an einen europäischen, möglicherweise deutschen Verlag gesendet hat, der das Buch herausbringen wollte. Ob das Moewig war, wo der Roman 1984 zuerst auf Deutsch erschienen ist oder ob es andere Interessenten gab? Auf welchen Weg das Exemplar in den folgenden 42 Jahren dann bis hierher gereist ist … man weiss es nicht.
Vorblatt mit Stempel
... ein Stempel der Agentur des Autoren
Die Scott Meredith Literary Agency hat Dick fast vom Anfang seiner Karriere bis zu seinem Tod und fast genauso lange darüber hinaus vertreten, mit nur sehr kurzen Unterbrechungen. Die erste bei SMLA eingereichte Geschichte war wohl am 23. Juli 1952 The Builder, auf Deutsch zuletzt als Der Erbauer veröffentlicht. Ursprünglich wollte Dick von SMLA nur für seine Mainstream-Romane, seine literarischen Arbeiten ausserhalb der Science Fiction vertreten werden. SMLA hat auf eine umfassende Vertretung bestanden; etwas eigentümlich war dieses Ansinnen von Dick schon, war SMLAs Stärke dieser Zeit doch gerade die gute Vernetzung mit den Pulp-Verlagen.
SMLA hat über die Eingänge von Manuskripten genau Buch geführt: es gab grüne Karten, auf denen nicht nur der Zugang der Manuskripte vermerkt wurde, sondern auch Bewertungen, geschrieben von (zum Teil renommierten) Science Fiction Autoren der Zeit, die für SMLA Zusammenfassungen und Abschätzungen geschrieben haben. Den Inhalt dieser Karten findet der Leser teilweise in den Nach- und Hinweisen (im Original Notes) der Sämtlichen Erzählungen und diese helfen dort bei der zeitlichen Einordnung der Entstehung, die teilweise gravierend von der Publikationsreihenfolge abweicht. Einige dieser Karten enthalten gar Informationen über gänzlich verlorene Mainstream-Manuskripte wie Pilgrim on the Hill
Der Mitarbeiter bei SMLA, mit dem Dick später am meisten zu tun hatte, war Russel „Rus“ Galen, dem er Valis, einen seiner wichtigsten Romane, widmet:
»To Russell Galen, who showed me the right way.«
Wenig Text, viel weiss
Widmung an Scott Meredith in
Stimmen der Strasse
Eine weitere Widmung, nämlich »To S. M.«, findet sich im Mainstream-Roman Stimmen der Strasse [Voices from the Street]. Das steht tatsächlich für Scott Meredith. Woher diese Widmung kommt, ist (mir) etwas unklar: SMLA hatte das Manuskript gemeinsam mit den anderen durchgehend unverkauften Mainstream-Bemühungen an Dick zurückgeschickt (was Dicks Ambitionen in diesem Bereich beendet hat). Das Manuskript war dann lange verschwunden und der Roman ist erst 2007 posthum veröffentlicht. Vielleicht stammt die Widmung wirklich aus dem Manuskript aus den frühen 50er Jahren, als das Buch bei SMLA eingereicht wurde. Aber woher sonst? Aber wäre die dann wirklich schon im Manuskript? Wollte Dick sich hier eine Vorzugsbehandlung bei seinem Agenten erschmeicheln? Zu den teilweise recht spannenden Widmungen von Dick kann man hier im Blog mehr lesen.
In der Beziehung von Dick und SMLA gab es (wie in jeder Beziehung) auch Differenzen und 1974 sogar eine kurze Trennung, aber erst lange nach dem Tod von Scott Meredith 1993 ist der Trust, d. h. Dicks drei Kinder und Erben, 2009 fast unbemerkt zur The Andrew Wylie Agency gewechselt. Diese hoch-renommierten Agentur vertritt Philip Roth und Salman Rushdie, auch der jordanische König Abdullah II und der Nachlass von John Updike stehen auf der imposanten Liste, aber ohne einen seiner Science Fiction schreibenden Kollegen und Freunde mag Dicks Vermächtnis sich dort einsam fühlen. Wie das so ist. Obwohl, Kurt Vonnegut ist auch da. 

Zum Buch

Zwei Erstausgaben: Voices from the Street in Englisch und
die deutsche Erstausgabe Stimmen der Strasse,
gewidmet Scott Meredith von SMLA
The Transmigration of Timothy Archer ist im Monat nach Dicks Tod erschienen, im April 1982. Auf Deutsch erschien das Buch 1984 bei Moewig fast gleichzeit mit den beiden anderen Bänden der Trilogie heraus. Der Roman verzichtet praktisch auf alle Science Fiction Elemente. In gewisser Weise erfüllt sich Dick hier doch noch seinen ursprünglich Wunsch ein „richtiger“ (d. h. Mainstream) Schriftsteller zu sein. Wichtig war ihm dieser Roman, er hat dafür das überaus lukrative Angebot ausgeschlagen, das Buch zum Film Blade Runner zu schreiben – wie lukrativ das Angebot war, dazu gibt es unterschiedliche Angaben von ihm. Dick lehnte das aber ab, um Timothy Archer zu schreiben und so haben wir jetzt diesen Roman und keine cheapo novelization des Films. (Tatsächlich hat die dann jemand anderes geschrieben ... aber das ist ein anderes Thema.)
Der Roman ist inhaltlich und definitionsgemäss Teil von Dicks Spätwerk und als solcher gehaltvoller als viele frühere Romane; das gilt auch für Valis und Die göttliche Invasion. Ob und wie diese drei Bücher die Trilogie bilden als die sie vermarktet werden, ist unter Kennern umstritten. Dick – höchst unzuverlässig bei solchen Aussagen – spricht selbst von einer Trilogie, möglicherweise ist der dritte Band aber nicht Transmigration sondern das ungeschriebene Owl in Daylight.
Eine lobende Erwähnung gilt dem Umschlagbild von Richards Powers, der vorher bereits für andere Ausgaben die Coverillustrationen geliefert hat.
Kaufen kann man Timothy Archer einfach und günstig, fast keine Hardcover Erstausgabe ist günstiger zu haben. Das liegt vielleicht an einer mutmasslich grossen Auflage (Dick war am Zenit seiner Bekanntheit) oder (auch?) am fehlenden Interesse an diesen nicht-Science-Fiction Roman. Ob es hier mehr als eine Auflage gab, ist mir unbekannt. Von SMLA gestempelte Exemplare findet man gelegentlich, solche von Dicks Bücher aber nur selten: man darf dann nicht zögern und muss zugreifen. Der Wert eines solchen – eigentlich wertmindernden Stempels – liegt aber im Auge des Betrachters bzw. Besitzers.
SMLA ist übrigens inzwischen umgezogen, im Netz findet man sie, vor Ort nicht mehr so einfach, es finden sich unterschiedliche Adressen; vermutlich gab es da mehrere Umzüge.
Eine Übersicht über die deutschen Widmungen gibt es hier im Blog.

Preise

"The Transmigration of Timothy Archer", Timescape (1982), findet man ab 20 Euro, zuzüglich Versand, ein (ausgewiesenes) "first printing" ab 40 Euro

Samstag, 12. Oktober 2024

Hochzeitstag (II.)

Philip K. Dick war fünfmal verheiratet. Das hinterlässt Spuren: in der Oakland Tribune vom 15. Juni 1950 findet sich das Aufgebot von Dicks zweiter Ehe, er heiratet die 19-Jährige Kleo Apostolides.
Geheiratet haben Apostolides und Dick tatsächlich schon am 14. Juni, offenbar haben sie das Aufgebot (license) unmittelbar vor der Hochzeit bestellt, das ist in den USA nicht unüblich. Die beiden sind neun Jahre verheiratet, das ist länger als Dicks anderen Ehen halten. Und Dick beginnt seine schriftstellerische Karriere in dieser Zeit.
Der sechste Eintrag in der Spalte Licenses Issued: DICKAPOSTOLIDES
Scan ist Courtesy of the California Digital Newspaper Collection, Center for Bibliographic Studies and Research, University of California, Riverside, http://cdnc.ucr.edu

Samstag, 28. September 2024

Centipede I

Dr. Futurity
Es war einmal im Jahr 2021– das Super-Sammler-Jahr, das Jahr der Luxusausgabenexplosion: Zuerst A Scanner Darkly von Suntup Editions, in drei Varianten: die lettered edition ist beim Ausgabepreis die teuerste Ausgabe eines Buches von Philip K. Dick überhaupt. Die „billige“ artist's gift edition konnte zeitnah (mit Hilfe) für die Sammlung geangelt werden (Danke, Zack!), trotzdem mit deftigem Aufschlag gegenüber dem Ausgabepreis.
Es folgten die klotzigen Collected Stories von der Folio Society, ausverkauft nach vier Tagen, am letzten Tage noch glücklich geklickt. Auch zum Originalpreis ein hoher Preis, antiquarisch eigentlich kaum vernünftig bezahlbar.
Das Trio der Sammlerausgaben wird komplett durch ein Trio von Centipede Press: Drei Romane im Sammelschuber.
Centipede Press ist ein amerikanischer Kleinstverlag aus Lakewood in Colorado, vergleichbar mit Suntup, der (sehr) teure Luxusausgaben in kleiner Auflage aus dem Umfeld Fantasy – Horror – Gothic – Science-Fiction herausbringt. Dieser Blog hat Centipede schon im Blogeintrag zu Helmut Wenske erwähnt, der bei Centipede – wohl in seiner teuersten Ausgabe – erscheint. 
Vulcan's Hammer
Dieses Trio von Philip K. Dick nun besteht aus drei sehr frühen Romanen: Schachfigur im Zeitspiel, über den ich mich neulich hier nicht so positiv geäussert habe, Kosmische Puppen, Dicks einziger Fantasy-Roman, über den recht wenig gesprochen wird und Vulkans Hammer, der möglicherweise auf dem Weg zu internationaler Berühmtheit ist: falls die geplante Verfilmung – von der schon recht lange nichts mehr zu hören ist – realisiert wird. Inhaltlich, das muss man wohl sagen, sind diese Werke eher im unteren Drittel von Dicks Schaffen. Sie sind dennoch empfohlen (vielleicht nicht dem Dick-Erstleser), um einen umfassenden Eindruck von Dicks Gesamtwerk und seiner Entwicklung zu erhalten.
Diese Ausgaben sind aber sowieso nicht zum Lesen geschaffen, sondern für Sammler. Schon das Schrumpffolienverpackungsentfernen wird in Teilen dieser Gemeinschaft für eine Entweihung gehalten – ein tatsächlicher Gebrauch des Buches ("Lesen") ist gänzlich undenkbar. Ich halte es mit den gemässigten Sammlern: Auspacken, vorsichtig Anschauen, die Einführungen lesen, dann gut geschützt Lagern. Meine Lesegewohnheiten würden solch teuren Stücken nicht guttun. Wer diese Bücher lesen will, kaufe sich ein Leseexemplar.

Samstag, 14. September 2024

Bernd Richard Deutsch komponiert Dr. Futurity

Musik ist eine wichtige, zentrale Form der Kultur, aber leider keine Kernkompetenz dieses Blogs: Man muss seine Grenzen erkennen. Trotzdem muss hier über den Komponisten Bernd Richard Deutsch und sein Werk Dr. Futurity für Ensemble berichtet werden.
Österreichische Musikzeitschrift 05 2013 mit einem Interview mit Bernd Richard Deutsch über Dr. Futurity

Samstag, 3. August 2024

Taiwan - Nicht einfach

Die Fahne von Taiwan über Chinatown in San Francisco im August 2024
Taiwans Fahne im Wind
Keine spektakuläre Erweiterung der Sammlung, aber eine kleine Lücke konnte der aktuelle Neuzugang einer Ausgabe von Ubik doch schliessen: 尤比克 heisst das Buch vom Verlag Lonely bzw. von 寂寞出版股份有限公司 in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan.
Auf kurz oder lang
Ubik in Kurzschrift (links) und aus Taiwan in Langzeichen: tatsächlich