Samstag, 11. Februar 2023

Welches Motto?

In der kleinen Serie über Philip K. Dicks Äusserungen zu seinen deutschen Ausgaben kommen wir hier zu den drei Stigmata des Palmer Eldritch bzw. den LSD-Astronauten. Schon dieser (erste) deutsche Titel des Buches gefielt dem Autoren nicht. Im Interview sagt er:
Anton & Fuchs: In Germany the book was titled LSD-ASTRONAUTEN.
Dick:                  I know, Franz Rottensteiner did that.
Anton & Fuchs: He knows nothing about your acid. Franz Rottensteiner is a real nice guy.
Dick spricht hier mit Uwe Anton und Werner Fuchs in Metz, wo sie ihn 1977 im Laufe von drei Tage befragen. Natürlich beklagt er sich (ein bisschen) über seinen deutschen Verleger. Und er bestreitet hier auch, psychedelische Drogen genommen zu haben.
Rottensteiner mag den Titel gewählt haben, weil das Thema – Drogen und speziell LSD – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in der (deutschen) Öffentlichkeit wohl "akut" gewesen ist (und ein Verleger muss auch ans Verkaufen denken) und weniger, weil zu dem Zeitpunkt Dicks Ruf entsprechend war. Und schliesslich mag Rottensteiner von Helmut Wenskes (wie ich finde: grandiosen) Umschlagbild überwältigt worden sein, das besser zu einem Titel LSD-Astronauten passt als zum werktreuen, aber doch etwas sperrigen Die Drei Stigmata des Palmer Eldritch.
Diverse Ausgabe von "The Three Stigmata of Palmer Eldritch" in Deutsch und Englisch
The Three Stigmata of Palmer Eldritch auf Deutsch, jeweil als Erstauflage: Insel (1971), Suhrkamp (1980), Heyne (2002) und Fischer (2014)
Schwerwiegender aber ist für Dick das in der deutschen Ausgabe fehlende Motto, der kurze Textabschnitt, den Dick seinem Werk vorangestellt hat - und der für ihn sehr wichtig ist. In der berühmten Vancouver-Rede The Android and the Human vom Dezember 1972 sagt er:
» In my novel THE THREE STIGMATA OF PALMER ELDRITCH, which is a study of absolute evil, the protagonist, after his encounter with Eldritch, returns to Earth and dictates a memo. This little section appears ahead of the text of the novel. It is the novel, actually, this paragraph; the rest is a sort of post mortem, or rather, a flashback in which all that came to produce the one-paragraph book is presented. Seventy-five thousand words, which I labored over many months, merely explains, is merely there to provide background to the one small statement in the book that matters. (It is, by the way, missing from the German edition.) This statement is for me my credo – not so much in God, either a good god or a bad god or both – but in ourselves. It goes as follows and this is all I actually have to say or want ever to say:

I mean, after all; you have to consider, we're only made out of dust. That's admittedly not much to go on and we shouldn't forget that. But even considering, I mean it's a sort of bad beginning, we're not doing too bad. So I personally have faith that even in this lousy situation we're faced with we can make it. You get me?

This tosses a bizarre thought into my mind: Perhaps someday a giant automated machine will roar and clank out, "From rust we are come." And another machine, sick and dying, cradled in the arms of its woman, may sigh back, "And to rust we are returned." And peace will fall over the barren, anxiety-stricken landscape.«

Umschlagbild von Klaus Dill
Neuübersetzung von Haffmans (1997)
Dick hält diese Rede nicht zu lange nach der deutschen Erstveröffentlichung von 1971, die für ihn schmerzliche Auslassung ist ihm offenbar so präsent, dass er das hier, einer wichtigen Äusserung zu seinem Denken und Werk, einbringt. Auf Deutsch hat Uwe Anton die Rede unter dem Titel Androiden und Menschen publiziert.
Auch die Neuausgabe bei Suhrkamp von 1980 ergänzt das Motto nicht, obwohl man annehmen kann, dass Rottensteiner Dicks Kritik zur Kenntnis gekommen sein muss. Die Vancouver-Rede war verhältnismässig gut publiziert, Rottensteiner gut vernetzt. Eigentlich hätte es kein Problem sein können diesen einen Abschnitt der Neuausgabe hinzuzufügen. Titel und (fehlendes) Motto sind auf jeden Fall dem Redakteur Rottensteiner zuzurechnen und nicht der Übersetzerin Anneliese Strauss.
Korrigiert wurde der Fehler erst mit der Neuübersetzung von Thomas Mohr für Haffmans (1997). Der Titel wurde korrigiert und das Motto zur Einleitung des Romans hinzugefügt:

Es ist doch so: Denken Sie daran, daß wir alle nur aus Staub gemacht sind. Das verspricht zugebenermaßen wenig Aussicht auf Erfolg, und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Aber selbst wenn man bedenkt, daß zu Anfang einiges schiefgelaufen ist, halten wir uns eigentlich recht gut. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir es, trotz der miserablen Situation, in der wir uns momentan befinden, schaffen können. Noch Fragen?

Aus einem firmeninternen Audio-Memo an alle Pre-Fash-Berater der Perky Pat Layouts Inc., diktiert von Leo Bulero unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Mars

Wir haben hier den dritten in Dicks Veröffentlichungen belegten Fall davon, dass sich Dick intensiv mit den deutschen Übersetzungen seiner Werke beschäftigt, nach Ubik (link) und The Man in the High Castle (link) hier im Blog.
Auch in der ersten Übersetzung von Joe von der Milchstrasse fehlt bei der Erstausgabe von Fischer das Motto.

Bibliographisches

Das Interview mit Philip K. Dick von Uwe Anton und Werner Fuchs in Metz 1977 findet sich mehrfach auf Deutsch, in:
  • Science Fiction Times # 146 (1979)
  • Nova 2001 # 1/2 (1979). Seite 46–50
  • Kosmische Puppen und andere Lebensformen. Heyne (1986). Seite 512–543
und sogar auf Englisch:
  • SF Eye #14 Spring, 1996. Seite 46ff
Und irgendwo findet sich das Interview auch im Netz.
Die Vancouver-Rede von 1972 findet sich auf Deutsch hier:
  • Philip K. Dick: Materialien (SFT-Sonderreihe #1, 1976)
  • Kosmische Puppen und andere Lebensformen, Heyne (1986)
und im Original:
  • SF Commentary # 31 (Dezember 1972)
  • Vector 64 (März–April 1973)
  • Philip K. Dick: Electric Shepherd, Norstrilia Press (1975)
  • The Dark Haired Girl, Ziesing (1988)
  • The Shifting Realities of Philip K. Dick: Selected Literary and Philosophical Writings, Vintage (1996) et al.
Das Thema Kürzungen deutscher Ausgaben wird dieser Blog auch noch behandeln müssen, einige der frühen Ausgaben sind arg gekürzt.

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